Der Erfolg kam für Max Giesinger (31, „Der Junge, der rennt“) nicht über Nacht. 2012 belegte er den vierten Platz bei „The Voice of Germany“, im Anschluss wollte ihn dennoch keine Plattenfirma unter Vertrag nehmen. Erst 2016, ganze vier Jahre später, gelang dem Sänger aus dem Schwarzwald mit dem Song „80 Millionen“ der große Durchbruch, heute laufen seine Songs im Radio rauf und runter.
Am Freitag (19. Juni) bringt Giesinger sein Erfolgsalbum „Die Reise“, das bereits im November 2018 erschien, erneut auf den Markt – als Akustikversion. Großen Hits wie „Legenden“, „Zuhause“ und dem Titelsong „Die Reise“ verleiht er damit einen ganz neuen Klang. Im Interview zieht der 31-Jährige Bilanz und offenbart seine bisherigen Höhen und Tiefen in seinem Leben.
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Mit dem Akustik-Album „Die Reise“ kehren Sie zu Ihren Wurzeln zurück. Früher sind Sie als Straßenmusiker durchs Land gezogen und haben auf Familienfeiern gesungen. Welche Erinnerungen kommen bei Ihnen auf, wenn Sie an den Anfang Ihrer Karriere denken?
Max Giesinger: Es war eine geile Zeit, sehr unbeschwert. Damals kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass ich früher oder später etwas mit der Musik erreichen könnte. Ich habe drei oder vier Konzerte die Woche gespielt und das hat sich über Mundpropaganda rumgesprochen. Damals wusste ich nicht, ob ich eine Ausbildung mache oder studiere. Ich wusste, dass ich Musik machen will, aber ich hatte Zweifel, ob man davon wirklich leben kann.
Welchen Beruf hätten Sie ergriffen, wenn der große Erfolg ausgeblieben wäre?
Giesinger: Ich hatte mich an diversen Unis beworben. Lehrer hätte ich mir vorstellen können – auch für Musik. Aber ich glaube, das wäre ganz schlimm mit mir geworden als Musiklehrer, ich konnte ja keine Noten lesen. Wahrscheinlich wäre ich irgendwo im Vertrieb gelandet, weil ich relativ gut mit Leuten umgehen kann und empathisch bin – natürlich ohne die Menschen übers Ohr zu hauen.
Sie haben den Song „Australien“ in der Akustik-Version als Vorgeschmack auf das Album veröffentlicht. Nach dem Abitur haben Sie sich ein Jahr lang in „Down Under“ durchgeschlagen. Welche Bedeutung hat dieser Lebensabschnitt rückblickend für Sie?
Giesinger: Es war ein wichtiges Jahr, weil ich zum ersten Mal selbstständig unterwegs war und für mich selbst sorgen musste. Vorher hat Mutti immer geguckt, dass der Sohn was zu essen hatte. Dort habe ich mit Kochen angefangen und das ging in die Hose. Es gab immer Nudeln mit Thunfisch und Tomatensoße, weshalb ich das danach vier Jahre lang nicht essen konnte. Aber die Zeit war großartig, weil ich gemerkt habe, dass ich für das Rumreisen gemacht bin. Ich hatte damals eine Zusage für eine Bankausbildung, aber ich wollte die Welt erkunden und der Drang, Musik zu machen, wurde nur noch stärker.
Sie sind Anfang 30. Viele Menschen ziehen in diesem Alter eine erste Lebensbilanz. Welche Höhen und Tiefen haben Sie bereits erlebt?
Giesinger: Während der Schulzeit waren drei, vier Jahre überhaupt nicht cool, weil ich nicht gut war und ein wenig gemobbt wurde. Damals war ich ein Stubenhocker und habe viel am Computer und Nintendo gespielt. Die Musik hat mich gerettet, sie gab mir Selbstbewusstsein und ein Ziel. Ich wollte ein Musikinstrument erlernen und ein guter Sänger werden, auch wenn ich mir darüber hinaus noch nicht viele Gedanken gemacht hatte. Der erste große Hoch- und Tiefpunkt war „The Voice of Germany“, wo ich schnell nach oben kam und gefühlt genauso schnell wieder fallen gelassen wurde. Keine Plattenfirma wollte mit mir arbeiten.
2016 ging es mit „80 Millionen“ richtig los. Das war das beste Jahr meines Lebens. Danach wollte ich alle Angebote annehmen, weil ich nicht wusste, wie lange der Erfolg anhält. Also habe ich für jeden Gig, jedes Konzert und jede TV-Show zugesagt. Ich konnte schlecht Nein sagen, weil ich mein Leben lang dafür gearbeitet habe und dachte: „Vielleicht ist es nur ein Jahr lang so und dann ist wieder alles weg.“ Am Ende des Jahres war ich energielos. Es kann schnell passieren, dass man den Antrieb verliert, aber ich habe relativ schnell gelernt, dass man sich auch Pausen gönnen muss – und ein gutes Maß gefunden.
Sie sind in diesem Jahr Teil von „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“. Welcher Moment hat Sie besonders berührt?
Giesinger: Als MoTrip „80 Millionen“ gesungen hat und den Song auf seine Geschichte gemünzt hat – wie er einst mit seiner Familie aus dem Libanon geflohen ist. Er hat dieses Thema, das in Deutschland stark polarisiert, vielen Leuten näher gebracht. Er hat aus der Perspektive des Geflüchteten gesungen, der am Ende einer von 80 Millionen ist. Ich habe nur noch geweint.
Wie hat sich Ihr Leben durch die Corona-Krise verändert?
Giesinger: Früher war ich am Wochenende in Bars unterwegs. Seit knapp drei Monaten fällt das weg, aber es fehlt mir nicht. Wenn ich weiß, dass niemand gerade Party macht und ich nichts verpasse, dann habe ich kein Problem damit. Ich mache fast jeden Tag Sport, lerne Tennisspielen und entschleunige mein Leben. Ich habe auch Kochen gelernt und mich um meine Pflanzen gekümmert.
Im Mai waren Sie auf Tour. Wie haben Sie die Auto-Konzerte erlebt?
Giesinger: Sie sind eine großartige Notlösung. Die Menschen fanden die Idee super und wollten sich das anschauen. Natürlich bleibt die Atmosphäre eines Festivals beim Sound des Autoradios aus – ohne große Anlage und den Bass im Bauch. Dennoch ist es besser, als gar keine Konzerte zu spielen.
Neben der Corona-Krise sorgen derzeit die Polizeigewalt in den USA und die Proteste gegen Rassismus für Aufruhr. Was wünschen Sie sich für die Welt?
Giesinger: Mehr Entspannung und weniger Egoismus. Das kapitalistische System hat uns dorthin gebracht, wo wir aktuell stehen. Wir haben die Natur zugrunde gerichtet und bekommen es nicht hin, dass alle Menschen gleich behandelt werden.
… und für sich selbst?
Giesinger: Ein schönes, glückliches, entspanntes Leben. Nicht so viel Stress, gutes Essen und dass ich hier und da mehr Zeit mit meiner Familie im Bandnerland verbringen kann.