Die Corona-Pandemie hat die Deutsche Bahn (DB) laut Konzernchef Richard Lutz „in die schlimmste finanzielle Krise seit ihrem Bestehen gestürzt“. Im ersten Halbjahr verbuchte die Bahn 3,7 Milliarden Euro Nettoverlust, wie der Konzern am Donnerstag mitteilte. Die Fahrgastzahl sank um 37 Prozent auf knapp 663 Millionen Reisende, der Umsatz ging um knapp zwölf Prozent auf 19,4 Milliarden Euro zurück.
Im Vorjahreszeitraum hatte die Bahn noch einen Gewinn in Höhe von 205 Millionen Euro gemacht. Die weltweite Infektionswelle habe Umsatz und Ergebnis einbrechen lassen; hinzu kam auch eine Sonderabschreibung auf die Auslandstochter Arriva von 1,4 Milliarden Euro, wie der Konzern mitteilte.
Die Verkehrsleistung der Bahn im Personentransport ging den Angaben zufolge im ersten Halbjahr dieses Jahres um über 40 Prozent zurück. Auch der Schienengüterverkehr „legte beim Transport von Lebensmitteln und Pandemieartikeln zwar zu“, sei aufgrund des Einbruchs bei zahlreichen „Schlüsselindustrien“ aber insgesamt um 13 Prozent zurückgegangen.
Bahnchef Lutz verteidigte am Donnerstag in Berlin die Entscheidung, während des Corona-Lockdowns flächendeckende und zeitweise kaum nachgefragte Verbindungen anzubieten: „Wir würden es genau so wieder machen.“ Er verwies außerdem auf die gestiegene Pünktlichkeit der Züge: Im Fernverkehr war die Pünktlichkeitsrate demnach mit 83,5 Prozent so hoch wie seit zwölf Jahren nicht. Auch die Kundenzufriedenheit sei deutlich gestiegen.
Beides ändert nichts an den finanziellen Corona-Folgen: Die Bahn erwartet nach eigenen Angaben eine pandemiebedingte Finanzierungslücke in Höhe von acht bis zehn Milliarden Euro. Lutz betonte, sein Konzern wolle bis 2022 mindestens vier Milliarden Euro selbst einsparen. Doch „die Milliarden, die uns fehlen, kommen nicht von alleine. Und sie kommen schon gar nicht allein von unserem Eigentümer“, sagte er mit Blick auf die für dieses Jahr angekündigte Kapitalerhöhung des Bundes.
Es dränge sich der Eindruck auf, „dass mit dem Geld, dass die Bahn jetzt braucht, vor allem auch Finanzlöcher gestopft werden sollen, die bereits lange vor Beginn der Corona-Pandemie existierten“, erklärte der FDP-Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst. Auch der bahnpolitische Sprecher der Grünen, Matthias Gastel, kritisierte, die Milliardenhilfen des Bundes verdeckten bloß strukturelle Probleme des Konzerns.
Die zusätzlichen Staatsgelder sichern indes die Rekordinvestitionen der Bahn: Im ersten Halbjahr wurden laut Lutz netto 2,8 Milliarden Euro investiert, das sei der höchste Halbjahreswert in der DB-Geschichte. Außerdem stellte der Konzern nach eigenen Angaben von Januar bis Juni rund 19.000 Mitarbeiter ein. Die Wachstumsoffensive werde sich vorerst aber noch nicht positiv auf die wirtschaftliche Lage der Bahn auswirken.
Zum Jahresende erwartet die Bahn beim bereinigten operativen Ergebnis ein Rekordminus von bis zu 3,5 Milliarden Euro. DB-Finanzvorstand Levin Holle bezifferte den für das Gesamtjahr erwarteten Umsatz am Donnerstag auf etwa 38,5 Milliarden Euro; die Nettoschulden würden Ende des Jahres voraussichtlich rund 27 Milliarden Euro betragen. Holle erwartete erhebliche Belastungen noch „im nächsten Jahr und auch darüber hinaus“.