Ich habe das zunächst nicht glauben wollen, dass es wirklich sowas gibt.“ Das Bekenntnis von Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) nach dem Auffliegen des Skandals um rechtsextreme Chatgruppen in der Landespolizei mag auf Anhieb blauäugig erscheinen – schließlich sollte ein Minister seine untergeordneten Behörden stets im Griff haben. Doch für Reul ist es typisch, weil Reul eben manchmal kein typischer Politiker ist.
Wenn Reul Krisennachrichten überbringen muss, scheinen mit dem 68-Jährigen oft seine Emotionen durchzugehen. Die Vorgänge um das mutmaßliche rassistische Netzwerk bei der NRW-Polizei machten ihn „sprachlos“, gab Reul zu. Ähnlich fassungslos hatte er sich auch schon nach Bekanntwerden des jahrelangen Kindesmissbrauchs auf dem Campingplatz von Lügde geäußert.
Diese offen kommunizierte persönliche Betroffenheit mag man dem gebürtigen Rheinländer sogar abnehmen, jedenfalls unterscheidet sie ihn vom oft schnittigeren Auftreten anderer politischer Krisenmanager. Kritiker sehen darin freilich eher strategisches Kalkül – sozusagen ein vorbereitendes sprachliches Manöver auf den harten Law-and-Order-Kurs, den Reul in solchen Fällen stets im selben Atemzug ankündigt.
Dies brachte dem früheren Generalsekretär der NRW-CDU und langjährigen Mitglied des Europäischen Parlaments seit seinem Amtsantritt 2017 in Düsseldorf den Ruf eines konservativen Klartext-Politikers ein – sei es im Kampf gegen rechtsextreme Polizisten, gegen Kinderpornografie oder auch gegen kriminelle Clans. Getreu der Maxime „Handeln statt Lamentieren“ scheut Reul dabei keinen Konflikt, wie er kürzlich auch in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ bewies.
In der Fernsehdiskussion unter anderem über Clankriminalität schrieb der CDU-Mann früheren Politikergenerationen zunächst ins Stammbuch, sie hätten sich jahrelang vor dem Problem gedrückt – aus Angst davor, wegen Stigmatisierung von Menschen mit ausländischen Wurzeln kritisiert zu werden. Man habe sich nicht getraut, „kriminelle Strukturen“ in Clanfamilien als Problem zu benennen.
Im Verlauf der lebhaften Diskussion sagte Reul dann einen Satz, der aus dem Zusammenhang gerissen leicht Ansatz für Kritik bietet: „Wenn Sie mal die türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger angucken, dann haben wir Kriminalitätsprobleme bei der dritten Generation.“
Zudem erzählte Reul von einem Gespräch mit einem Polizisten, in dem es um Angebote an junge Clanmitglieder für einen Ausstieg aus kriminellen Strukturen ging. Reul zufolge erzählte der Polizist, wenn er einem solchen jungen Mann sage, „ich hab da einen tollen Ausbildungsplatz als Busfahrer“, dann „guckt der auf die Rolex-Uhr und sagt, ‚hab keine Zeit'“.
Prompt forderte die SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag eine Entschuldigung von Reul. „Das ist nicht das erste Mal, dass Herbert Reul mit vorurteilsbehafteter Sprache auffällt“, schimpfte der SPD-Innenexperte Hartmut Ganzke. „Solche Äußerungen sind respektlos und eines Regierungsmitglieds unwürdig.“
Mit solcher Kritik an seinen Äußerungen im Rechtsextremismus-Skandal bei der NRW-Polizei muss Reul nicht rechnen. Vor dem Düsseldorfer Landtag bekräftigte der verheiratete Vater von drei Kindern am Donnerstag, die Vorgänge hätten eine „Dimension und Abscheulichkeit, die ich nicht für möglich gehalten habe“.
Selbstkritisch warf er auch die Frage auf, warum „solche Chatgruppen nicht früher aufgefallen“ seien. „Das macht schon sehr nachdenklich“, sagte Reul. „Offenbar haben wir nicht alles erkannt.“
Zugleich rief er die Abgeordneten zu gemeinsamen Anstrengungen gegen Rechtsextremismus in der Polizei auf. Er lade zum Mitmachen bei diesem „gemeinschaftlichen Projekt“ ein, sagte Reul vor dem Landtag, und fügte nach einem Zwischenruf hinzu: „Und wenn nicht, dann mach ich das notfalls allein, wie bei Lügde, damit das klar ist.“