Frankreich sagt Corona „Gute Nacht“

Schlafendes Frankreich, Paris
Schlafendes Frankreich, Paris

Drastisch steigende Infektionszahlen und Alarm in den Krankenhäusern: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zieht angesichts der zweiten Corona-Welle die Notbremse und schickt Paris und andere Hotspots in den Teil-Lockdown. Ab dem Wochenende gilt wieder der „Gesundheitsnotstand“, und nächtliche Ausgangssperren für rund 20 Millionen Bürger treten in Kraft. Bei vielen Menschen wecken sie ungute Erinnerungen an die Nazi-Zeit. 

„Gute Nacht“ titelte die Zeitung „Libération“ am Donnerstag zu dem Foto einer dunklen und menschenleeren Pariser Straße. Die Lichter gehen ab Samstag in der Hauptstadt und acht weiteren Ballungsräumen von Lille im Norden bis Marseille und Aix-en-Provence im Süden aus. Die Menschen dürfen dann zwischen 21.00 Uhr und sechs Uhr morgens nur noch für die Arbeit und bei medizinischen Notfällen ihre Häuser verlassen. Es ist die härteste Maßnahme seit dem landesweiten Lockdown zwischen März und Mai.

„Wir müssen strengere Maßnahmen ergreifen, um die Kontrolle wiederzuerlangen“, sagte Präsident Macron in einem Fernsehinterview, das 20 Millionen Franzosen vor den Bildschirm bannte. Die bis zu 27.000 Neuinfektionen täglich und die rasch steigende Zahl der Notfallpatienten nannte er „Besorgnis erregend“.

Von einem „Krieg“ gegen einen „unsichtbaren Feind“ sprach der Staatschef anders als im Frühjahr zwar nicht. Mit seiner Ankündigung eines „couvre-feu“ nutzte er aber einen militärischen Begriff, mit dem viele Franzosen die nächtlichen Ausgangssperren und die Verdunkelung unter der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg verbinden.

„Wer ist denn der Besatzer?“, fragt in einer Zeitungskarikatur eine ängstliche Frau, die Macrons TV-Auftritt verfolgt. „Covid“, antwortet ihr Mann. Trotz des Kriegstraumas berief sich Macron in seiner Ansprache immer wieder auf Deutschland, das in Frankreich als Musterland im Umgang mit Corona gilt.

In den Online-Netzwerken entlud sich massive Wut auf den Präsidenten: Viele warnten vor einer „gesellschaftlichen Revolte“. Junge Leute kündigten private „Riesenfeten“ zwischen 21.00 Uhr und sechs Uhr morgens an. Ein Regierungssprecher drohte daraufhin mit einer empfindlichen Erhöhung der Geldbuße für Corona-Verstößen von bisher 135 Euro.

Auch das Gastgewerbe schäumt: Der Hotel- und Gaststättenverband HCR warf Macron „verkappte Schließungen“ der ohnehin gebeutelten Restaurants und Hotels vor. Wegen des nächtlichen Lockdowns müssen Restaurants, Theater, Kinos und Konzerthallen in vielen Großstädten nun dicht machen, die bisher anders als Bars und Cafés verschont waren.

Unzufrieden äußerten sich selbst Krankenhaus-Mitarbeiter, die Macron durch den Teil-Lockdown entlasten will. „Man legt das Land lahm, weil es in den Kliniken an Plätzen fehlt“, kritisierte der Präsident des Verbands der Notfallmediziner, Patrick Pelloux. 

Er erinnerte daran, dass die Regierung nach der ersten Corona-Welle tausende neue Betten versprochen hatte. Doch wie im Frühjahr gibt es weiter nur 5000 Intensivbetten in Frankreich – nicht mal ein Fünftel der rund 27.000, die Deutschland statistisch hat. 

Spätestens zum Monatsende dürften die Kliniken in Paris, Marseille und anderen Hotspots wieder an ihre Grenzen kommen. Unter dem Schlagwort #IchBinErschöpft traten am Donnerstag zahlreiche Krankenhaus-Mitarbeiter in Frankreich in Streik.

Selbst das von der zweiten Welle relativ verschonte Grenzgebiet zu Deutschland fürchtet Ungemach: Medien in Elsass-Lothringen berichteten, das Robert-Koch-Institut wolle ab Freitag auch die Region Grand Est als „Risikogebiet“ einstufen. Damit wäre wieder ganz Frankreich „rote Zone“, und neue Kontrollen für Pendler absehbar. Grenzschließungen soll es wegen der „schlechten Erfahrungen“ vom Frühjahr aber nicht geben, wie Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bei einem Besuch in Paris versicherte.

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