Website-Icon Nürnberger Blatt

Für Biden ist die „Schlacht um die Seele der Nation“ noch lange nicht gewonnen

Für Biden ist die „Schlacht um die Seele der Nation“ noch lange nicht gewonnen

Symbolbild: Flagge von USA

Mit seinen 77 Jahren und fast fünf Jahrzehnten in der Politik ist Joe Biden schon bei vielen Wahlen angetreten. Doch einen solchen Kampf hat der weißhaarige Politik-Veteran noch nie durchstehen müssen. Im erbittert geführten Wahlduell mit Präsident Donald Trump ist der frühere Vizepräsident jetzt zum Sieger erklärt worden. Die von dem US-Demokraten ausgerufene „Schlacht um die Seele der Nation“ ist damit aber noch lange nicht gewonnen.

Zum einen dürfte Trump sich mit aller Macht am Weißen Haus festklammern. Der Rechtspopulist prangert seit Tagen angeblichen Wahlbetrug an und will den Kampf für eine zweite Amtszeit vor den Gerichten fortsetzen.

Die wahren Herausforderungen stehen Biden aber bevor, wenn er am 20. Januar als 46. Präsident der US-Geschichte vereidigt wird. Der Politik-Oldie mit dem breiten Lächeln und dem Faible für Piloten-Sonnenbrillen muss nicht nur die verheerende Corona-Pandemie mit mehr als 235.000 Toten im Land unter Kontrolle bringen, die dramatischen sozialen und wirtschaftliche Auswirkungen der Krise eindämmen, das Rassismus-Problem angehen und das zerrüttete Verhältnis zu den traditionellen Verbündeten im Ausland kitten.

Biden übernimmt von Trump auch ein zutiefst gespaltenes Land, in dem die Gräben zwischen Demokraten und Republikanern und den Anhängern beider Lager so tief sind wie selten zuvor. „Vereinen und heilen“ will der volksnahe 77-Jährige die derzeit alles andere als Vereinigten Staaten von Amerika.

Doch er weiß, dass das eine gewaltige Herausforderung ist. „Ich bin nicht naiv“, sagte er kürzlich. „Ich weiß, wie tief und hart die Meinungsverschiedenheiten in unseren Land bei so vielen Themen sind.“ Ein erster Schritt sei, politische Gegner fortan nicht mehr wie „Feinde“ zu behandeln.

Der einstige Stellvertreter von Präsident Barack Obama hat sich in seiner langen politischen Karriere stets als Brückenbauer verstanden – und sich auch im Wahlkampf als Versöhner gegeben. Er positionierte sich dabei konsequent als Gegenentwurf zu Trump. Biden versprach den von der aufreibenden Trump-Präsidentschaft ermüdeten Wählern eine Rückkehr zu Normalität, Verlässlichkeit, ruhiger Regierungsführung, Anstand und amerikanischen Werten.

Gerade in der Corona-Krise hätte der Kontrast zwischen den beiden Rivalen nicht größer sein können. Während Trump die Gefahr durch das Virus pausenlos kleinredete, mahnte Biden Vorsicht und einen entschlossenen Kampf gegen die Pandemie an – und trug dabei so konsequent eine Schutzmaske, dass er zur Zielscheibe von Hohn und Spott durch den Amtsinhaber wurde.

Biden ließ sich nicht beirren und zeigte zudem in der Krise seine Fähigkeit zu Mitgefühl, schon immer eines seiner Markenzeichen. Genährt wird es aus persönlichen Tragödien in seinem Leben. Der in der Arbeiterstadt Scranton im Bundesstaat Pennsylvania geborene Biden war mit gerade einmal 29 Jahren in den US-Senat gewählt worden, als seine Frau und seine kleine Tochter bei einem Autounfall ums Leben kamen. 2015 starb dann sein ältester Sohn Beau an einem Hirntumor.

In der Folge verzichtete der damalige Vizepräsident auf eine eigene Präsidentschaftskandidatur 2016. Im vergangenen Jahr stieg er aber in das Präsidentschaftsrennen ein, zum insgesamt dritten Mal in seiner langen Karriere. Bei der Bewerberauswahl seiner nach links gerückten Demokraten hatte es der stellenweise antiquiert wirkende Mitte-Politiker lange schwer, bis er sich die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei sicherte.

Auch danach belehrte das Politik-Urgestein Zweifler eines Besseren. Der für Versprecher und verbale Aussetzer berüchtigte Biden lieferte einen extrem disziplinierten Wahlkampf ohne größere Fehler ab und bot dem Politik-Bulldozer Trump bei zwei Fernsehduellen Paroli. Als der Präsident ihm beim ersten Aufeinandertreffen pausenlos ins Wort fiel, fuhr Biden ihn mit den Worten „Halt den Mund, Mann!“ an und bezeichnete ihn als „Clown“.

Die beiden Rivalen werden nun einen Weg für eine Machtübergabe finden müssen. Biden, der am 20. November seinen 78. Geburtstag feiert, wird das Amt als ältester Präsident der US-Geschichte antreten – und mit einer gewaltigen Aufgabenlast.

Die mobile Version verlassen