Die Verhandlungen über ein Handelsabkommen nach dem Brexit gehen in eine kritische Phase: Die Chefunterhändler der EU und Großbritanniens unternehmen über das Wochenende nochmals einen Anlauf, um eine Vereinbarung zu erzielen. Die Erfolgsaussichten schätzten beide Seiten am Freitag als ungewiss ein. EU-Diplomaten zufolge bleiben „nur noch wenige Tage für weitere Verhandlungen“. Sonst droht zum Jahreswechsel ein harter Bruch in den Wirtschaftsbeziehungen.
Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende bleibt es aber noch im EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Diese Übergangsphase wollten beide Seiten eigentlich nutzen, um ein Handelsabkommen auszuhandeln. Die Gespräche kommen aber seit Monaten kaum voran.
EU-Chefunterhändler Michel Barnier hatte die Gespräche mit seinem britischen Kollegen David Frost vergangene Woche unterbrechen müssen, weil es einen Corona-Fall in seinem Verhandlungsteam gab und er sich in Quarantäne begeben musste. Barnier kündigte nun an, am Freitagabend nach London zu fahren, um die Verhandlungen wiederaufzunehmen.
Während der Zwangspause der Chefunterhändler hatten ihre Teams weiter verhandelt. Barnier konnte am Freitag aber keine Fortschritte vermelden. „Dieselben erheblichen Meinungsverschiedenheiten bestehen weiterhin“, schrieb er auf Twitter. Der Franzose informierte am Freitagmorgen zunächst die Botschafter der 27 EU-Mitgliedstaaten über die Lage.
Barnier habe dabei „nicht sagen können, ob ein Deal möglich sein wird“, sagte ein EU-Diplomat. Die Botschafter hätten die EU-Kommission angesichts der unsicheren Lage einstimmig aufgefordert, „dringend und ohne weitere Verzögerungen Notfallmaßnahmen“ für den Fall eines No-Deal-Szenarios vorzulegen.
Der britische Premierminister Boris Johnson forderte die EU auf, sich in den Verhandlungen zu bewegen. „Die Wahrscheinlichkeit eines Deals wird weitgehend von unseren Freunden und Partnern in der EU entschieden“, sagte er vor Journalisten. „Alle arbeiten hart, aber es müssen ganz klar erhebliche und wichtige Meinungsverschiedenheiten überbrückt werden.“
„Es ist spät, aber eine Einigung ist immer noch möglich“, schrieb der britische Verhandlungsführer Frost auf Twitter. Eine Vereinbarung müsse jedoch „die Souveränität des Vereinigten Königreichs vollständig respektieren“.
Hauptstreitpunkte sind nach wie vor faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle eines künftigen Abkommens und die Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern. Zur Vorbereitung der Gespräche in London wollte Barnier am Freitag mit den Fischereiministern der acht betroffenen EU-Länder sprechen.
Nach einer Einigung müsste ein Abkommen noch durch das Europaparlament genehmigt werden. Die Zeit dafür ist bereits äußerst knapp.
Ohne Einigung würden im beiderseitigen Handel zum Jahreswechsel Zölle erhoben. Wirtschaftsverbände rechnen dann nicht nur mit massiven Staus an den Grenzen im Lieferverkehr, sondern auch mit Milliarden an Mehrkosten und Einnahmeausfällen.