Als Vier-Sterne-General mit Erfahrung im Irak und in Afghanistan genoss Lloyd Austin hohes Ansehen. Jetzt könnte der 67-Jährige als erster Afroamerikaner an der Spitze des US-Verteidigungsministeriums Geschichte schreiben: Der gewählte Präsident Joe Biden hat den pensionierten Heeresgeneral als künftigen Pentagon-Chef nominiert. Doch schon jetzt gibt es Widerstand. Kritiker hätten gerne einen Zivilisten als Verteidigungsminister und werfen Austin eine zu große Nähe zur Rüstungsindustrie vor.
Austin war erst 2016 nach einer mehr als 40-jährigen Militärkarriere in den Ruhestand gegangen. Eigentlich schreibt das Gesetz eine siebenjährige Karenzzeit vor, bevor ein pensionierter Offizier Verteidigungsminister werden kann.
Austin braucht deswegen eine Sondergenehmigung des Kongresses, wie sie auch Jim Mattis erhalten hatte, der erste Verteidigungsminister von Präsident Donald Trump. Bei allem Respekt für Austin sei das eine „furchtbare Botschaft“, kritisierte die Jura-Professorin und frühere Pentagon-Vertreterin Rosa Brooks.
Hinzu kommt, dass Austin nach seinem Ausscheiden aus den Streitkräften in den Verwaltungsrat des Rüstungsriesen Raytheon Technologies einzog, einem der Hauptauftragnehmer des Pentagon. Eine solche Nähe zur Rüstungsindustrie kommt insbesondere im linken Demokratenflügel nicht gut an.
Viele hatten sich zudem eine Frau an der Pentagon-Spitze gewünscht. Die frühere Verteidigungs-Staatssekretärin Michèle Flournoy hatte als Favoritin auf den Posten gegolten. Zuletzt war aber der Druck auf Biden gewachsen, mehr Afroamerikaner für sein künftiges Kabinett zu nominieren.
An Austins großer militärischer Erfahrung gibt es keine Zweifel. Der Absolvent der Militärakademie West Point diente im Irak und in Afghanistan und war 2003 einer der Kommandierenden beim Einmarsch der US-Truppen in Bagdad. In den folgenden zwei Jahren leitete er in Afghanistan die Combined Joint Task Force 180, die für Stabilität in dem Bürgerkriegsland sorgen sollte.
2010 wurde er Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak und vollzog im folgenden Jahr den vom damaligen Präsidenten Barack Obama angeordneten Truppenabzug aus dem Land. Aus dieser Zeit kennt er auch Biden gut, der damals als Obamas Vizepräsident beim Abzug politisch federführend war.
2012 ernannte Obama Austin dann als ersten Afroamerikaner der Geschichte zum Kommandeur des US-Militärkommandos Centcom, das unter anderem für den Nahen Osten und Afghanistan zuständig ist. In dieser Rolle leitete Austin den Kampf der USA gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien.
Die Bemühungen waren nicht nur von Erfolg gekrönt: Bei einer Kongressanhörung musste Austin 2015 einräumen, dass ein 500 Millionen Dollar teures US-Programm zur Ausbildung moderater syrischer Rebellen im Kampf gegen den IS weitgehend floppte. Derzeit seien nur „vier oder fünf“ von den USA ausgebildete Kämpfer tatsächlich im Einsatz gegen den IS. Letztlich gelang es den US-Streitkräften, den IS unter anderem mit Hilfe kurdischer Kämpfer zurückzudrängen.
Als Verteidigungsminister stünde Austin – eine Bestätigung im Senat vorausgesetzt – an der Spitze der mächtigsten Armee der Welt und wäre für die rund 1,2 Millionen US-Berufssoldaten verantwortlich. Seine Ernennung wäre ein wichtiges Signal der Wertschätzung an die vielen Schwarzen in der US-Armee: Rund 16 Prozent der Soldaten sind Afroamerikaner, sie sind aber überproportional in den niederen Rängen vertreten.
Im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste gegen Rassismus in den USA hat auch die Rolle von Afroamerikanern in den Streitkräften verstärkt Beachtung erhalten. Und Biden weiß, dass er seinen Wahlsieg gegen Trump zu einem nicht unbedeutenden Teil schwarzen Wählern zu verdanken hat.
Auf die Debatte, die die Entscheidung für Austin ausgelöst hat, hätte der künftige Präsident sicherlich gerne verzichtet. Ob ein großer politischer Streit über den pensionierten Vier-Sterne-General ausbrechen wird, muss sich noch zeigen.