Großbritannien und die EU gehen endgültig getrennte Wege – Für 500 Millionen Menschen endet die bisherige Freizügigkeit

Symbolbild: Europäische Union
Symbolbild: Europäische Union

Für Großbritannien hat eine neue Ära begonnen: Mit dem Austritt aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion wurde der Brexit zur Jahreswende endgültig vollzogen. Um Mitternacht (MEZ) trat ein Post-Brexit-Abkommen in Kraft, das einen harten wirtschaftlichen Bruch zwischen Großbritannien und der EU vermeiden soll. Der britische Premierminister Boris Johnson sprach von einem „großartigen Moment“ für sein Land. Die bislang für 500 Millionen Menschen geltende Freizügigkeit zwischen Großbritannien und 27 EU-Staaten endete.

Um 23.00 Uhr (00.00 Uhr MEZ) läutete der Glockenschlag von Big Ben das neue Kapitel in der Geschichte des Landes ein – nach 47 Jahren als Teil der europäischen Staatengemeinschaft. Am Eurotunnel-Terminal in Calais begannen französische Beamte pünktlich um Mitternacht mit der Umsetzung der neuen Zollformalitäten – beginnend mit einem Lkw, der aus Rumänien kam und Post und Pakete transportierte.

„Wir halten unsere Freiheit in unseren Händen und es liegt an uns, das Beste daraus zu machen“, sagte Johnson am Donnerstagabend in seiner Neujahrsansprache. Das Vereinigte Königreich könne die Dinge künftig „anders – und wenn nötig besser – als unsere Freunde in der EU handhaben“, sagte Johnson. Das Land könne „Handelsabkommen rund um die Welt“ abschließen. Dem „Daily Telegraph“ sagte Johnson, es komme nun darauf an, in jenen Sektoren, „in denen wir besonders gut sind, einen Turbo-Start hinzulegen“.

Das Boulevardblatt „Daily Express“ zeigte auf der Titelseite seiner Freitagsausgabe die britische Flagge mit dem Schriftzug „Freiheit“ und titelte: „Unsere Zukunft. Unser Großbritannien. Unser Schicksal“. Mit spürbarer Zurückhaltung nahm die linksliberale Tageszeitung „The Guardian“ den Wechsel auf: „In der Krise, ohne Fanfare, beendet das Vereinigte Königreich endlich die europäische Ära.“

„Wir müssen unsere eigenen Entscheidungen treffen“, verteidigte Maureen Martin, eine Rentnerin aus der englischen Hafenstadt Dover, die Brexit-Entscheidung. Ihrer Ansicht nach hätte Großbritannien 1973 „nie“ der Europäischen Gemeinschaft beitreten sollen.

Johnsons Euphorie und die der Brexit-Anhänger teilte die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon nicht: „Schottland wird bald wieder in Europa sein“, schrieb sie auf Twitter. Sturgeon ist entschlossen, ein neues Referendum über die Unabhängigkeit vom Vereinten Königreich abzuhalten.

London verließ den Binnenmarkt ohne ein Wort des Abschieds aus der EU: In Brüssel meldete sich in der Nacht zu Freitag keiner der Chefs der europäischen Institutionen zu Wort.

Großbritannien war zum 1. Februar als erstes Land in der Geschichte der europäischen Staatengemeinschaft aus der EU ausgetreten. Das Post-Brexit-Abkommen, das zahlreiche Handels- und Zollfragen regelt, war erst in letzter Minute am 24. Dezember vereinbart worden. Das Abkommen soll Chaos in den beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen verhindern – ohne den Deal hätten ab Freitag Lieferprobleme und lange Grenzstaus gedroht. 

Für einen regulären Ratifizierungsprozess mit der Zustimmung durch das EU-Parlament reichte die Zeit bis zum Jahresende nicht mehr aus. Daher sollen die vereinbarten Regeln zunächst mindestens bis zum 28. Februar übergangsweise angewandt werden. Nach Einschätzung der Road Haulage Association müssen ab sofort täglich 220 Millionen Formulare ausgefüllt werden, um den Handelsaustausch zwischen Großbritannien und der EU zu organisieren.

Der Grenzverkehr zwischen Großbritannien und der EU verlief am Neujahrstag problemlos. Rund 200 Lastwagen durchquerten den Tunnel unter dem Ärmelkanal in der Nacht zum Freitag „ohne Probleme“, wie die Betreiber-Gruppe des Tunnels, Getlink, mitteilte. 

Wenige Stunden vor dem endgültigen Vollzug des Brexit wurden am Donnerstag auch die letzten Stolpersteine aus dem Weg geräumt: Die Regierungen in London und Madrid erzielten eine Grundsatzeinigung über die künftigen Regeln für Gibraltar. Für die britische Exklave sollen künftig die Bestimmungen des Schengen-Abkommens gelten. Damit sind Grenzübertritte ohne Passkontrolle weiterhin möglich. Ohne die Einigung wäre die Grenze zwischen Gibraltar und Spanien ab Freitag zu einer „harten Grenze“ zwischen Großbritannien und der EU geworden. 

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