Das Piepen der lebenserhaltenden Maschinen ist das Einzige, was auf der Intensivstation eines Krankenhauses in einem der ärmsten Stadtteile von Los Angeles zu hören ist. In einer Reihe liegen mehrere ältere Männer im künstlichen Koma und angeschlossen an Beatmungsgeräte. „Wir geben unser Bestes. Aber wir haben in den vergangenen Wochen so viel Tod gesehen“, sagt Krankenschwester Vanessa Arias.
Arias arbeitet am Martin-Luther-King-Jr.-Community-Krankenhaus. Vor wenigen Minuten musste sie einer weiteren Familie die Nachricht überbringen, dass ihre Mutter nicht mehr am Leben ist. „Wir sind im Auge des Sturms“, sagt die Krankenschwester.
Das MLK-Krankenhaus an der Grenze zwischen den armen Stadtvierteln Watts und Compton in South Los Angeles verfügt eigentlich nur über 131 Betten. Inzwischen behandelt es aber 215 Patienten, die meisten von ihnen wegen Covid-19. Die Krankenhaus-Kapelle und ein Geschenkartikelladen wurden zu Behandlungsräumen umgebaut und ein Feldlazarett aus Zelten vor dem Eingang errichtet.
Die USA verzeichneten zuletzt fast 4000 Corona-Tote in 24 Stunden. Kalifornien ist mit rund 2500 Toten pro Woche einer der Pandemie-Hotspots geworden. Im Schnitt stirbt in Los Angeles alle 15 Minuten ein Mensch an den Folgen der Viruserkrankung. Krankenwagen mit Covid-19-Patienten sind in der zweitgrößten US-Metropole derzeit oft stundenlang unterwegs, bevor sie endlich eine Klinik mit freien Betten finden.
„Wenn Los Angeles das Epizentrum der Welt ist, dann ist dieser Stadtteil das Corona-Epizentrum von Los Angeles“, sagt Klinikchefin Elaine Batchlor. Die Patienten sind hier im Süden der Stadt hauptsächlich Schwarze und Latinos, zwei Bevölkerungsgruppen, die in den USA überdurchschnittlich stark durch das Coronavirus getroffen wurden: Ihre Übersterblichkeitsrate nahm laut einer Studie um etwa 33 und 54 Prozent zu. Dagegen ist die Übersterblichkeitsrate unter Weißen nur um etwa zwölf Prozent gestiegen.
Viele der Patienten des MLK-Krankenhauses arbeiten in exponierten Berufen: als Verkäufer oder im öffentlichen Nahverkehr. Sie leben oft unter beengten Verhältnissen, so dass ein Schutz vor Ansteckung kaum möglich ist.
„Wir sehen ganze Familien auf einmal krank werden“, sagt Arias, die selbst aus einer Latino-Familie kommt und in der Nachbarschaft aufgewachsen ist. „Ich könnte eine von ihnen sein. Es ist sehr tragisch, Menschen sterben zu sehen, die aussehen wie du selbst.“
Taylor Reed, die als Krankenschwester in New York gearbeitet hatte, als dort im Frühjahr vergangenen Jahres die Kliniken wegen der Pandemie an ihre Belastungsgrenze kamen, findet die jetzige Situation noch gravierender: „Das ist das Schlimmste, was ich je gesehen habe“, sagt die 24-Jährige.
Kalifornien galt im Frühjahr als Vorbild im Umgang mit der Pandemie. Doch das ist lange vorbei. Nun sind Sanitäter in Los Angeles angewiesen, Menschen mit geringen Überlebenschancen nicht mehr in Kliniken zu bringen. Und angesichts der steigenden Totenzahlen haben die Behörden begonnen, mehr als 150 Kühlanhänger zur Aufbewahrung von Leichen in der Stadt zu verteilen.
In den USA wurden seit Beginn der Pandemie rund 365.000 Tote registriert, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Der jüngste Anstieg wird von Experten auch auf Zusammenkünfte während des Feiertages Thanksgiving Ende November zurückgeführt. Hinzu dürften demnächst die Auswirkungen der Weihnachtstage und all ihrer Familientreffen kommen und die Zahlen nochmals steigen lassen.
Der enorme Druck auf das Gesundheitspersonal beschäftigt Krankenhaus-Chefin Batchlor: „Unsere Ärzte und Pfleger auf der Intensivstation versichern mir, dass sie die Lage im Griff haben. Aber ich mache mir Sorgen, weil sie bereits so lange unter diesem Druck stehen.“ Kürzlich verstärkten Ärzte der Nationalgarde das strapazierte Personal der Klinik.
Krankenschwester Arias versucht bei all dem Stress, möglichst regelmäßig die Angehörigen aller Patienten zu informieren. Vor wenigen Stunden hat sie die Familie einer älteren Frau angerufen, deren Zustand sich verschlechterte. „Ich habe ihnen gesagt, sie müssten schnell kommen“, berichtet Arias. Die Familie schaffte es trotzdem nicht mehr rechtzeitig, um sich noch zu verabschieden.