In Deutschland sind am Samstag die Regelungen für eine bundesweite Corona-Notbremse in Kraft getreten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigte die Maßnahmen angesichts „wahrer Hilferufe“ von Ärzten und Pflegepersonal als dringend notwendig. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), warnte unterdessen, dass „ein ständiges Hin und Her zwischen Öffnen und Schließen“ zusätzlichen Stress für die Bürgerinnen und Bürger bedeuten könne.
Die seit Mitternacht geltende Bremse wird in Gebieten angezogen, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz die Grenze von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern übersteigt. Besteht diese an drei aufeinanderfolgenden Tagen, treten am übernächsten Tag die Maßnahmen in Kraft, zu denen Kontaktbeschränkungen und eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 22.00 und 05.00 Uhr zählen.
In der Öffentlichkeit oder in Privaträumen dürfen sich die Angehörigen eines Haushaltes nur mit einem weiteren Menschen treffen. Erlaubt sind zudem Zusammenkünfte von Ehe- oder Lebenspartnern – oder wenn ein Sorgerecht wahrgenommen wird.
An den Schulen ist ab einer Inzidenz von 100 Wechselunterricht vorgeschrieben. Ab einem Wert von 165 ist nur noch Distanzunterricht erlaubt.
Besonders umstritten ist die nächtliche Ausgangssperre. Beim Bundesverfassungsgericht sind bereits Klagen gegen das Gesetz anhängig.
Mit der Neuregelung hat der Bund erstmals in der Corona-Pandemie Zuständigkeiten an sich gezogen, die bislang bei den Ländern lagen. Die Bundesländer dürfen die Notbremse des Bundes nicht lockern, aber die Regeln weiter verschärfen.
Kanzlerin Merkel verteidigte die bundesweite Corona-Notbremse am Samstag als „dringend nötig“. Von Ärzten und Pflegepersonal kämen „wahre Hilferufe“, sagte sie in ihrer wöchentlichen Videobotschaft. „Diese Menschen gehen für uns alle tagtäglich an ihre Grenzen, um das Leben von Corona-Patienten zu retten.“
Alleine könnten sie das jedoch trotz „aufopferungsvollstem Einsatz“ nicht schaffen, fügte Merkel hinzu. „Wir – der Staat, die Gesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger – wir alle müssen helfen.“
Zugleich bezeichnete sie die durch die Notbremse vorgesehenen Maßnahmen als „hart“. Aber kein Land, das es geschafft habe, die dritte Welle der Pandemie zu brechen, habe dies ohne harte Maßnahmen wie nächtliche Ausgangsbeschränkungen erreicht. „So sehr man sich wünschen würde, es gäbe weniger belastende Wege, die dritte Welle zu brechen und umzukehren – es gibt sie nicht“, sagte Merkel.
Innerhalb eines Tages wurden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Samstag 23.392 Neuinfektionen mit dem Coronavirus registriert. Zudem wurden demnach 286 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus gemeldet. Vor einer Woche hatte das RKI 23.804 Neuansteckungen, also etwa 400 mehr als an diesem Samstag, sowie 219 Todesfälle gemeldet. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg leicht auf 164,4.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig geht nach eigenen Angaben indes nicht davon aus, dass die bundesweite Regelung dazu beiträgt, die Corona-Zahlen deutlich zu senken. „Und es sorgt für zusätzlichen Stress bei den Bürgerinnen und Bürgern“, sagte die SPD-Politikerin der „Welt“ vom Samstag. Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz werde es in Landkreisen, bei denen der Inzidenzwert um die 100 schwankt, „ein ständiges Hin und Her zwischen Öffnen und Schließen geben“, kritisierte sie. „Mal gelten die Ausgangsbeschränkungen, mal nicht. Mal öffnen die Baumärkte, mal sind sie zu.“
Der Deutsche Landkreistag kritisierte, dass nächtliche Durchfahrten durch Landkreise mit Inzidenzen über 100 künftig untersagt seien. Das sei „lebensfremd“ und lasse sich kaum kontrollieren. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft forderte laut „Welt“, dass Fahrten zwischen Wohnung und Flughafen nicht von nächtlichen Ausgangsbeschränkungen betroffen sein sollten; laut Lufthansa riskieren demnach Reisende bei touristisch motivierten Flügen während der Ausgangsbeschränkungen mit einem Bußgeld belegt zu werden.