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Die unheimlich nette Madame Le Pen

Die unheimlich nette Madame Le Pen

Marie Le Pen - Bild: Olaf Kosinsky/CC BY-SA 3.0 DE

Sie liebt Katzen, hat ein Herz für Kinder und neuerdings sogar für Muslime: Viele Franzosen reiben sich verwundert die Augen über die Wandlung der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Die als Scharfmacherin bekannte 52-Jährige wird nicht müde, ihre „feminine“ Seite in Online-Netzwerken oder Interviews zu betonen. Plötzlicher Sinneswandel oder politisches Kalkül? Denn nie war die Chance für Le Pen so groß, erste Präsidentin Frankreichs zu werden. Ein Brandbrief früherer Generäle kommt ihr da gerade Recht.

Rund ein Jahr vor der Wahl sehen fast alle Meinungsforscher die Chefin des Rassemblement National (RN, Nationale Sammlungsbewegung) im Aufwind. Während Le Pen im Mai 2017 in der Stichwahl Emmanuel Macron noch deutlich unterlag, muss der Amtsinhaber diesmal ein Kopf-an-Kopf-Rennen fürchten.

Auch die linksgerichtete Jean-Jaurès-Stiftung sieht laut einer Studie eine „nicht unerhebliche Möglichkeit“, dass Le Pen im kommenden Jahr einen Triumph feiern kann. Viele Wähler scheinen nicht mehr bereit zu sein, Macron zu wählen, nur um die Rechtspopulistin zu verhindern. Lieber enthalten sie sich – was der Rechtsaußen-Frau nützt. Oder sie halten Le Pen wegen der Grabenkämpfe bei den Konservativen sogar für eine echte Alternative, auch wenn die in der Corona-Krise keinen klaren Gegenentwurf zu bieten hat.

Die „republikanische Front“ gegen sie sei „überholt“, meint Le Pen. Diese Front hatte seit fast 20 Jahren Bestand: Sie bildete sich 2002, als es ihr Vater Jean-Marie Le Pen erstmals in die Stichwahl zum Präsidentenamt schaffte. Um den Rechtsextremen zu stoppen, gaben auch weite Teile der Linken eine Wahlempfehlung für Amtsinhaber Jacques Chirac ab, der schließlich mit gut 80 Prozent der Stimmen triumphierte.

Aus der krachenden Niederlage ihres Vaters hat Marine Le Pen gelernt. Sie hat sich der „Entteufelung“ der ehemaligen Front National verschrieben, sie in „Sammlungsbewegung“ umbenannt und ihren Vater aus der Partei geworfen. Nun hofft sie nicht nur auf die Stimmen enttäuschter Konservativer und Linker, sondern auch auf desillusionierte Macron-Anhänger.

Dafür will Le Pen nach eigenen Worten die „Rüstung ablegen“, die sie sich in den zehn Jahren an der Parteispitze zugelegt hat. Lehnte sie früher Fragen zu ihrem Privatleben ab, veröffentlicht sie nun Fotos mit ihren Katzen im Internet und plaudert in einem Video-Interview mit der ultrarechten Zeitschrift „Valeurs Actuelles“ über Kindererziehung und Werte.

Aber es gibt auch eine andere Marine Le Pen: Sie lässt sich auf Parteitreffen von Glatzköpfigen in Springerstiefeln bejubeln. Denn nicht nur „besorgte Bürger“ umwirbt die Populistin, sondern auch die rechtsextreme Klientel. Unter dem Schlachtruf „Franzosen, erwachet!“ wirbt Le Pen für einen Einwanderungsstopp, ein Kopftuchverbot im öffentlichen Raum und eine „patriotische“ Wirtschaftspolitik.

Auch die Warnung ehemaliger Generäle vor einem „Bürgerkrieg“ in Frankreich gegen Islamisten und „Horden der Banlieue“ mit tausenden Toten versucht sich Le Pen zunutze zu machen: Sie lud die Militärs ein, sich ihr und dem „Kampf für Frankreich“ anzuschließen. Anschläge wie die Tötung einer Polizeimitarbeiterin bei Paris und der Mord an dem Lehrer Samuel Paty durch einen mutmaßlichen Islamisten im Herbst sind ebenfalls Wasser auf Le Pens Mühlen.

In einigen Punkten hat sich Le Pen aber gemäßigt: Ihre unpopuläre Forderung nach einem Abschied vom Euro hat sie aufgegeben. Zudem wirbt sie offensiv um Stimmen der fünf Millionen französischen Muslime, von denen nach ihren Worten „viele bereits assimiliert sind“. Ein Stimmungstest steht bei den Regionalwahlen im Juni an.

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