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Panik vor der Landung in Minsk

Panik vor der Landung in Minsk

Flughafen

Panik erfasst Roman Protasewitsch an Bord der Ryanair-Maschine von Flug FR4978, als dem regierungskritischen Journalisten klar wird, dass das Flugzeug seinetwegen umgeleitet und zur Landung in der belarussischen Hauptstadt Minsk gezwungen wird. Schon bevor der im Exil lebende Oppositionelle am Sonntag in Athen das Flugzeug in Richtung Vilnius bestieg, hatte er das Gefühl, verfolgt zu werden, wie der belarussische Nachrichtenkanal Nexta berichtete, dessen Chefredakteur Protasewitsch einst war.

„Er geriet in Panik und sagte, dass dies seinetwegen sei“, beschrieb die 40-jährige Monika Simkiene, die ebenfalls in der Ryanair-Maschine saß, die Minuten im Flugzeug vor der Landung in Minsk. „Er hat sich einfach zu den Leuten umgedreht und gesagt, dass ihm die Todesstrafe droht“, fügte sie hinzu. Als Protasewitsch nach der Landung gemerkt habe, dass seine Festnahme bevorstehe, sei er aber plötzlich „sehr ruhig“ geworden.

Andere Mitreisende berichteten, wie der junge Mann noch an Bord der Maschine seine Taschen leerte und einige Gegenstände seiner Freundin anvertraute, die wenig später allerdings ebenfalls am Flughafen von Minsk festgenommen wurde. „Er hat nicht geweint, aber es war ihm anzusehen, dass er sehr große Angst hatte“, sagte der Passagier Edvinas Dimsa. „Man kann sagen, dass er gesprungen wäre, wenn ein Fenster in dem Flugzeug offen gewesen wäre.“

Die Boeing wurde nach Informationen der auf die Flugverfolgung spezialisierten Internetseite Flightradar24 über belarussischem Gebiet, kurz vor der Grenze zu Litauen, abgefangen. An Bord der Ryanair-Maschine saßen auch Agenten des belarussischen Geheimdienstes KGB, wie der derzeitige Nexta-Chefredakteur Tadeusz Gicsan berichtete. „Als das Flugzeug in den belarussischen Luftraum einflog, begannen KGB-Offiziere ein Gerangel mit dem Ryanair-Personal.“ Sie behaupteten demnach, an Bord sei eine Bombe.

Unter dem Vorwand der Bombendrohung wurde der Ryanair-Flieger zur außerplanmäßigen Zwischenlandung in Minsk gezwungen, abgefangen von einem Kampfjet des Typs MiG-29, der auf Geheiß des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko aufgestiegen war. Es ist ein beispielloser Vorgang, der international massive Proteste und Sanktionsandrohungen zur Folge hat.

Protasewitsch ist seit Langem ein scharfer Kritiker von Lukaschenko, der Belarus seit 1994 mit eiserner Hand regiert. Mit 17 wurde der Regierungsgegner schon einmal festgenommen, weil er zwei Lukaschenko-kritische Gruppen im russischen sozialen Netzwerk Vkontakte betrieben hat. Er sei damals so schwer zusammengeschlagen worden, dass er drei Tage lang Blut im Urin hatte, berichtete der Aktivist damals. „Sie haben mir gedroht, mir ungelöste Mordfälle zur Last zu legen.“

Seit 2019 lebt Protasewitsch im Exil, in Polen und in Litauen. Damals begann er für den einflussreichen oppositionellen Nachrichtenkanal Nexta zu arbeiten, der derzeit bis zu 1,2 Millionen Leser hat. Dem Kanal kam eine zentrale Rolle bei den Massenprotesten gegen die von massiven Betrugsvorwürfen begleitete Wiederwahl Lukaschenkos im vergangenen Jahr zu.

Im November wurde gegen Protasewitsch ein Haftbefehl ausgestellt. Das Regime legt ihm zu Last, an „terroristische Aktivitäten beteiligt“ gewesen zu sein. Auf Terrordelikte steht die Todesstrafe, die in Belarus auch weiter vollstreckt wird. Aufruf zu Massenprotesten kann mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden.

Die Solidarität mit dem 26-jährigen Protasewitsch ist riesig. Journalistenverbände und Politiker aus aller Welt forderten seine sofortige Freilassung. Am Flughafen in Vilnius, wo die Ryanair-Maschine am Sonntag mit mehreren Stunden Verspätung eintraf, warteten dutzende Unterstützer der belarussischen Opposition. Einige hielten Schilder in die Höhe: „Ich bin/Wir sind Protasewitsch“ stand auf ihnen, auf einem war auch zu lesen: „Ryanair, wo ist Roman?“

Der 36-jährige Oppositionsanhänger Alexander Glatschkow verurteilte die Festnahme des Journalisten als „Verbrechen“. Er sei aus Solidarität mit Protasewitsch gekommen, „um zu verhindern, dass einer nach dem anderen gebrochen wird“.

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