Zahlt ein Teil der etwa 20 Millionen Rentner in Deutschland zu viele Steuern? Diese Frage muss der Bundesfinanzhof in München klären. Zwei am Mittwoch mündlich verhandelte Verfahren könnten weitreichende Folgen bekommen. Fragen und Antworten:
WORUM GEHT ES?
Viele Rentner fühlen sich vom Staat doppelt besteuert und damit verfassungswidrig behandelt. Alleine wege dieses Vorwurfs laufen gerade 142.000 Verfahren vor Finanzgerichten.
WAS IST EINE DOPPELBESTEUERUNG?
Von Doppelbesteuerung wird gesprochen, wenn die im Erwerbsleben aus bereits versteuerten Einkommen gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung später noch einmal in der Auszahlungsphase besteuert werden und letztlich die Beiträge höher waren als der steuerfreie Teil der Renten.
WEN BETRIFFT DAS PROBLEM?
Neben den bereits vor Gericht gezogenen 142.000 Rentnern kann das Phänomen für immer mehr Neurentner relevant werden. 2005 wurde das System umgestellt mit einer langen Übergangsfrist bis ins Jahr 2040, die in jedem Jahr stärker wirkt. Das heißt, jedes Jahr wird der steuerpflichtige Teil der Rente größer. Damit dürfte auch der Anteil der von dem Problem betroffenen Selbstständigen wie Arbeitnehmern steigen.
WORUM GEHT ES IM ERSTEN VERFAHREN?
Kläger sind ein Zahnarzt und dessen Frau. Der Mann ging 2009 in den Ruhestand und hat seitdem Anspruch auf eine gesetzliche Rente, eine für Selbstständige gedachte Rürup-Rente und rund 20 private Renten. Er wirft dem Finanzamt vor, ihn doppelt zu besteuern. Für das Klagejahr 2009 will er 860 Euro zurück.
WAS MACHT DEN FALL MODELLHAFT?
Bei dem Zahnarzt stellte das Finanzamt tatsächlich für das Jahr 2009 eine Doppelbesteuerung fest. Diese betrug gut hundert Euro. Angesichts einer Summe von fast hunderttausend Euro, auf die der Mann Einkommensteuer zahlen musste, sah das Finanzamt diesen Betrag aber als Bagatelle und behielt ihn ein.
Eine Bagatellgrenze gibt es aber bisher nicht – die Frage ist, ob der Bundesfinanzhof sie zieht. Auch die Frage, ob die Rürup-Rente mit der staatlichen Rente steuerlich gleichgestellt wird, könnte in diesem Verfahren modellhaft geklärt werden.
WORUM GEHT ES IM ZWEITEN VERFAHREN?
Hier sind ein Steuerberater und dessen Frau Kläger. Der Mann zahlte zunächst gesetzlich und später freiwillig privat in die staatliche Rentenversicherung ein und muss die Rente nun versteuern. Er kritisiert, die Beiträge aus bereits versteuertem Einkommen gezahlt zu haben und nun mit einem Ansatz eines steuerpflichtigen Anteils der Rente von 54 Prozent einen zu hohen Anteil versteuern zu müssen.
WAS MACHT DIESEN FALL MODELLHAFT?
Bei dem Steuerberater stellen sich viele Fragen, die einen großen Teil der Rentner betreffen können. Dabei geht es unter anderem darum, wie diverse Steuerfrei- und Pauschbeträge angesetzt werden oder Beiträge etwa zur Krankenversicherung.
Es geht also etwa darum, ob der Grundfreibetrag oder Krankenversicherungsbeiträge bei der Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente berücksichtigt werden müssen oder nicht. Der Bund der Steuerzahler wirft dem Bundesfinanzministerium vor, dies von den Finanzämtern zuungunsten der Rentner ansetzen zu lassen.
WAS KÖNNTE DER BUNDESFINANZHOF ÄNDERN?
Der Bundesfinanzhof könnte eine Entscheidung treffen, ob es eine Bagatellgrenze gibt und wo sie liegt. Ob er das tut, ist offen. Eher zu erwarten ist, dass das oberste Steuergericht für viele der Einzelfragen Vorgaben macht, die dann von den Finanzämtern jeweils auf den einzelnen Steuerfall angewandt werden müssen.
WANN FÄLLT EINE ENTSCHEIDUNG?
Am 31. Mai wird der Bundesfinanzhof beide Verfahren entscheiden. Der Bundesfinanzhof hat dabei unterschiedliche Möglichkeiten. So könnten die Verfahren abgewiesen werden, dann wären die Finanzämter bestätigt. Es könnten aber auch neue Rechenwege für die Besteuerung vorgegeben werden. Oder es könnten weitergehende Abklärungen etwa durch das Bundesverfassungsgericht nötig werden.