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Hintergrund: Wie sich die Ahndung von NS-Verbrechen zuletzt veränderte

Hintergrund: Wie sich die Ahndung von NS-Verbrechen zuletzt veränderte

Geschichtliches Bild: Nazisymbole an Fasaden

Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in den Todeslagern der Nazizeit in Deutschland verlief über Jahrzehnte nur äußerst schleppend. Trotz einiger aufsehenerregender Prozesse mussten sich nur wenige der schätzungsweise bis zu 250.000 am Holocaust und an anderen nationalsozialistischen Massenverbrechen in der einen oder andere Weise beteiligten Täter vor Gericht verantworten. Die Zahl rechtskräftiger Urteile liegt bei nicht einmal 600. In den vergangenen Jahren gab es aber noch einmal mehrere Gerichtsverfahren:

JURISTISCHE DETAILS SIND ENTSCHEIDEND

Aufgrund von Verjährungsfristen ist bereits seit langem nur noch eine Verurteilung wegen Mordes möglich, was Beihilfe zum Mord einschließt. Rechtlich ist dabei unter anderem entscheidend, was als Tat und was als relevanter Hilfsbeitrag dazu definiert wird. Juristen interpretierten auch den Betrieb einer „Mordfabrik“ wie Auschwitz früher nicht als zusammenhängendes Verbrechen, sondern „zerlegten“ das Geschehen quasi in eine Kette von einzelnen Taten.

In der Folge galt es als unumgänglich, einem Beschuldigten eine Beteiligung an einer ganz konkreten Handlung nachzuweisen, die zur Ermordung von Menschen führte – so etwa die Bewachung eines bestimmten Deportationszugs samt anschließender „Selektion“ für die Gaskammer. Das war aber nur selten möglich. Andere Formen der Vernichtung, etwa durch absichtlich herbeigeführte unzureichende Versorgung und Sklavenarbeit, wurden hingegen ganz ausgeblendet.  

WENDE DURCH PROZESSE GEGEN DEMJANJUK UND GRÖNING

Erst nach einem Schuldspruch gegen den Wachmann John Demjanjuk wegen dessen Dienst im NS-Vernichtungslager Sobibor durch das Landgericht München 2011 begann sich dies zu ändern. Das Urteil wurde wegen des Todes des Angeklagten nie rechtskräftig, löste jedoch einen Schwung neuer Ermittlungen gegen Beschuldigte aus. Einige davon führten zu Anklagen und Prozessen. Am bekanntesten war das Verfahren gegen den SS-Mann und sogenannten „Buchhalter von Auschwitz“, Oskar Gröning, ab 2015 am Landgericht Lüneburg.

Dieses Verfahren gilt als wegweisend, weil die Richter Gröning unter anderem auch aufgrund der pauschalen Tatsache verurteilten, dass er zur Mannschaft eines Todeslagers gehört hatte. Diese Bewertung wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) im Rahmen der Revision später ausdrücklich bestätigt und damit quasi offiziell anerkannt. Als Mitglied des „personellen Apparats“ von Auschwitz habe der Beschuldigte Gröning generell die Voraussetzungen für den Holocaust mit geschaffen, entschied der BGH im Jahr 2016.

VERFAHREN ZU ANDEREN KONZENTRATIONSLAGERN

Gestützt auf das Gröning-Urteil des BGH gingen Staatsanwälte nun allmählich dazu über, auch Wachleute aus Konzentrationslagern wie Lublin-Majdanek und Stutthof anzuklagen. Im Unterschied zu reinen Vernichtungslagern wie Sobibor oder Auschwitz-Birkenau wurden die Gefangenen dort nicht nahezu alle direkt bei Ankunft umgebracht, sondern zum Teil über längere Zeiträume hinweg durch die bewusst lebensfeindlichen Bedingungen allmählich getötet. Das macht auch die für eine Verurteilung notwendige Beweisführung schwieriger.

Anklagevertreter zeigen sich aber überzeugt, dass sich auch diese erweitere Zuschreibung am Ende als juristisch tragfähig erweisen wird. Nach dieser Lesart ist die gesamte SS-Wachmannschaft eines Konzentrationslagers als „Verbrecherbande“ einzustufen, in der jedes Mitglied für das Gesamtgeschehen mitverantwortlich zeichne.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft verwies in dem Prozess gegen den früheren Stutthof-Wachmann Bruno D. in diesem Zusammenhang auch auf Erkenntnisse aus der historischen Forschung, wonach sich der Massenmord der Nazis eben ausdrücklich nicht nur in Gaskammern vollzog, sondern genauso durch kalkuliert herbeigeführte elende Bedingungen in den Lagern. Entsprechend sei bereits der Beginn der Zwangsarbeit dort als „Beginn des Mordens“ zu werten und damit als Anknüpfungspunkt möglicher Beihilfehandlungen zu sehen. 

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