Vor einem Gericht in Den Haag hat am Dienstag ein aufsehenerregender Prozess gegen den Ölriesen Shell begonnen: Umweltschützer wollen das Unternehmen mit ihrer Klage zwingen, die im Pariser Abkommen formulierten Klimaschutzziele einzuhalten – also seinen Treibhausgasausstoß drastisch zu senken. Sieben Umweltschutzgruppen unter Führung von Milieudefensie, dem niederländischen Zweig der internationalen Organisation Friends of the Earth, klagen gegen Shell; sie werden unterstützt von 17.300 niederländischen Bürgern als Nebenklägern.
In der Klage werfen sie Shell vor, indem der Konzern nicht handle, gefährde er „die Zukunft unserer Kinder“. Das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, so schnell wie möglich eine Senkung der klimaschädlichen Emissionen zu erreichen. Jahreszahlen werden dafür aber nicht festgelegt. In der zweiten Jahrhunderthälfte soll eine Balance zwischen dann noch ausgestoßenen Treibhausgasen und deren Neutralisierung – zum Beispiel durch Aufforstung – erreicht werden. De facto wären fossile Energieträger dann kaum noch nutzbar.
Zudem wurde festgelegt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Zusätzlich soll versucht werden, unter der 1,5-Grad-Grenze zu bleiben.
Friends of the Earth argumentiert in der Klage, es sei unmöglich, diese Ziele zu erreichen, wenn die „weltgrößten Umweltverschmutzer“ wie Shell untätig blieben. Der Konzern produziere zweimal so viel Kohlendioxid wie die gesamte Niederlande. Der Vorsitzende von Friends of the Earth in den Niederlanden, Donald Pols, erklärte, der Prozess sei ein „historischer Moment“. Der Prozess könne „bedeutsame Folgen für das Klima und die Branche der fossilen Energien weltweit“ haben.
Shell kritisiert die Klagen als „unangemessen und ohne gesetzliche Grundlage“. Shell werde den CO2-Fußabdruck seiner Produkte bis 2035 um 30 Prozent verringern, bis 2050 dann um 65 Prozent. Ein Unternehmenssprecher sagte AFP, „effektive Politik“ werde die Energiewende beschleunigen, dazu Investitionen in neue Technologien und die Änderung des Kundenverhaltens. „Davon wird nichts hier in diesem Prozess erreicht.“ Die Umweltverbände wollen erreichen, dass Shell seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent reduziert.
In Den Haag sind zunächst vier Tage im Dezember für Anhörungen angesetzt. Dann wird der Prozess zunächst vertagt. Die Umweltschützer rechnen nicht vor dem Sommer mit einem Urteil. Eingereicht hatten sie die Klage im April 2019. Dutzende Umweltaktivisten marschierten damals zum Hauptquartier von Shell und überreichten den Schriftsatz. In den Niederlanden ist der Klimaschutz von überlebenswichtiger Bedeutung: Mindestens ein Drittel des Landes liegt unterhalb des Meeresspiegels. Die Regierung in Den Haag war im vergangenen Jahr von einem Gericht verpflichtet worden, die Treibhausgase bis 2020 um mindestens 25 Prozent zu senken.