Die Linke zieht mit einer weiblichen Doppelspitze in den diesjährigen Wahlmarathon: Auf dem digitalen Parteitag wurden am Samstag Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow zu den neuen Vorsitzenden gewählt. Die Thüringer Landes- und Fraktionschefin Hennig-Wellsow warb für Rot-Rot-Grün auch im Bund, die hessische Fraktionschefin Wissler forderte grundlegende Veränderungen. Es gehe um das „Aufbegehren gegen die Verhältnisse“, die Linke wolle „Reichtum umverteilen“.
Beide Frauen riefen die Linke zu Geschlossenheit auf, nachdem die Partei lange durch Grabenkämpfe der verschiedenen Strömungen geprägt war. Wissler und Hennig-Wellsow treten die Nachfolge von Katja Kipping und Bernd Riexinger an, deren Amtszeit nach fast neun Jahren endete. Die 39-jährige Wissler erhielt 84,2 Prozent der Stimmen. Sie ist Vorsitzende der hessischen Linken-Fraktion.
Hennig-Wellsow hatte bei ihrer Wahl anders als Wissler zwei Gegenkandidaten. Die bisherige thüringische Landes- und Fraktionsvorsitzende erhielt 70,5 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis muss noch durch eine Briefwahl bestätigt werden. Die 43-jährige Hennig-Wellsow strebt ein Bundestagsmandat an und will neben dem Landes- auch den Fraktionsvorsitz in Thüringen abgegeben. Wissler legte sich zunächst nicht fest, ob sie den hessischen Fraktionsvorsitz behält.
Wissler prangerte die gesellschaftliche Spaltung an, die sich durch die Corona-Krise vertieft habe. „Wir leben in einer Klassengesellschaft, das wird in dieser Krise noch deutlicher“, sagte sie. Viele Menschen seien in Existenznot geraten und müssten um ihre Zukunft bangen, während die Zahl der Millionäre steige. „Mit diesen Zuständen werden wir uns niemals abfinden“, sagte Wissler, die für einen klar linken Kurs in der Partei steht.
Hennig-Wellsow warb mit Nachdruck für eine Regierungsbeteiligung im Bund. Nicht zuletzt die Corona-Krise werfe Fragen auf, „die nicht warten können“, so Hennig-Wellsow. „Sonst werden sie von anderen entschieden.“
Neben der Frage von Regierungsbeteiligungen, bei der Wissler deutlich zurückhaltender ist, sind auch beim Thema Auslandseinsätze Unterschiede erkennbar. Wissler ist strikt dagegen, Hennig-Wellsow kann sich in Einzelfällen Blauhelmeinsätze der Bundeswehr vorstellen.
Hennig-Wellsow rief zum Vertrauen in die neue Führung und zur Überwindung früherer Streitigkeiten auf. Sie wolle gemeinsam mit Wissler, „unbelastet, wie wir sind“, die Kommunikation in der Partei stärken. Am Rande des Parteitags sagte sie: „Ich sehe zwischen uns keine wirkliche Differenz.“ Die beiden Vorsitzenden seien „vielleicht in der Konsequenz etwas unterschiedlich“. Es gehe darum, die aktuellen Umfragewerte zu steigern.
Bei der Wahl der stellvertretenden Parteichefs unterlag der frühere Bundesgeschäftsführer der Linken, Matthias Höhn, dem Bundestagsabgeordneten Tobias Pflüger. Höhn hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, dass sich die Partei UN-Blauhelmeinsätzen öffnet. Zu neuen stellvertretenden Linken-Vorsitzenden wurden die Berliner Landeschefin Katina Schubert, die Verdi-Gewerkschaftssekretärin Jana Seppelt und der bayerische Landessprecher Ates Gürpinar gewählt.
Als Parteivize wiedergewählt wurden die Bundestagsabgeordneten Martina Renner und der hessische Linkenpolitiker Ali Al-Dailami. Bundesgeschäftsführer bleibt Jörg Schindler.
In einem auf dem Parteitag beschlossenen Leitantrag setzt sich die Linke für einen „solidarischen Lockdown“ in der Corona-Pandemie ein. „Es geht darum niemanden zurückzulassen und einen Rettungsschirm für die Menschen zu spannen.“ Die Linke fordert dafür eine Vermögensabgabe und die Freigabe der Patente für Impfstoffe. „Ein Lockerungs-Lockdown-Jojo“ müsse, „wenn irgend möglich“, vermieden werden.
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar für die „Bild am Sonntag“ verbesserte sich die Linke in der Parteitagswoche um einen Punkt auf neun Prozent.