Sex im Tausch gegen Förderung der Karriere, unerbetene Küsse von Fußballfans, Bedrohungen aller Art: Journalistinnen sind bei der Ausübung ihres Berufs vielfältigen Erscheinungsformen des Sexismus ausgesetzt, wie die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) in einem Bericht zum Internationalen Frauentag am Montag beklagte. Die Belästigungen spielten sich gleichermaßen im Internet wie an den Orten der journalistischen Recherche und in den Redaktionsräumen ab.
Der RSF-Bericht stützt sich auf Befragungen aus 112 Ländern. Es geht um Diskriminierung, Beleidigung, sexuelle Belästigung, unerwünschte Berührungen, Beleidigungen, Aggressionen, Vergewaltigungsandrohungen und tatsächliche Vergewaltigungen. Die Autoren des Berichts kommen zu der Einschätzung, dass das Leben von Journalistinnen ein „doppeltes Risiko“ berge. Denn sie müssten einerseits mit den typischen Gefahren des Berufs fertig werden, andererseits mit sexistischer Gewalt.
73 Prozent der Befragten gaben an, dass sie im Internet belästigt werden. Als Beispiel bekannt wurde besonders die indische Kommentatorin und Investigativjournalistin Rana Ayyub, die täglich Vergewaltigungs- und Morddrohungen ausgesetzt ist. Nachdem ein gefälschter pornografischer Film von ihr im Netz verbreitet wurde, erlitt sie einen Zusammenbruch.
In Brasilien wollen Reporterinnen nicht länger von Fußballfans belästigt werden, die sie ungewollt umarmen und küssen. Journalistinnen „müssen damit rechnen, dass eine Welle des Hasses über sie hereinbricht, wenn sie sich in den sozialen Netzwerken äußern“, in Ländern wie Pakistan oder Indien riskierten sie sogar ihr Leben, erklärte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger.
In besonderem Maße Gewalt ausgesetzt sind Journalistinnen, die auf Frauenrechte, Politik und Sport spezialisiert sind. Die saudi-arabische Journalistin Nouf Abdulaziz al-Jerawi wurde inhaftiert, weil sie sich öffentlich dagegen ausgesprochen hatte, dass Frauen in ihrem Land einen männlichen Vormund haben müssen. Während ihrer Haft wurde sie mit Elektroschocks gefoltert und sexuell missbraucht.
RSF wies darauf hin, dass die #MeToo-Bewegung immer mehr Fälle ans Licht bringe. Ein Beispiel ist das Schicksal der dänischen Fernsehmoderatorin Sofie Linde. Sie schilderte bei einer Fernseh-Gala, wie ein hochrangiger Verantwortlicher des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ihr vorgeschlagen habe, er könne ihre Karriere beschleunigen, wenn sie mit ihm Oralverkehr habe. Daraufhin unterzeichneten 1600 Frauen, die für dänische Medien arbeiten, ein Unterstützerschreiben für Linde.
Von den Befragten stuften 40 ihr eigenes Land als „gefährlich“ oder „sehr gefährlich“ für Journalistinnen ein. Unter den „sehr gefährlichen“ Ländern sind Mexiko, Indien und Syrien. In dem RSF-Bericht geht es auch um die Konsequenzen dieser Missstände. So könnten Frauen sich zum Rückzug aus den sozialen Medien genötigt sehen (43 Prozent), einer Selbstzensur unterwerfen (48 Prozent), ihr Spezialgebiet wechseln oder gar kündigen (jeweils 21 Prozent).