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EuGH: Gerichte haben Ermessensspielraum bei Überstellung bereits Verurteilter

Symbolbild: EuGH

Symbolbild: EuGH

Gerichte in der Europäischen Union haben einen Ermessensspielraum in der Frage, ob ein in der EU mit Europäischem Haftbefehl Festgenommener und bereits in einem Drittland Verurteilter trotz des Verbots der Doppelbestrafung in einen EU-Mitgliedsstaat überstellt wird. Dies geht aus einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hervor. (Az. C-665/20 PPU X)

In dem Fall geht es die Übergabe eines in den Niederlanden inhaftierten Manns an Deutschland. Gegen den Mann erließ das Amtsgericht Berlin-Tiergarten im September 2019 einen Europäischen Haftbefehl wegen versuchten Mordes, Vergewaltigung, schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Die Verbrechen soll er in Berlin an seiner damaligen Lebensgefährtin und teils auch an deren Tochter begangen haben.

Aufgrund des Haftbefehls wurde der Gesuchte im März 2020 in den Niederlanden in Haft genommen. Seiner Übergabe an die deutschen Behörden hält der Mann das Verbot der Doppelbestrafung entgegen: Er sei wegen eines Teils der Taten bereits im Iran verurteilt und wegen des anderen Teils freigesprochen worden.

Die Strafe habe er größtenteils im Iran verbüßt. Die Reststrafe sei ihm im Rahmen einer allgemeinen Begnadigungsmaßnahme anlässlich des 40. Jahrestags der islamischen Revolution erlassen worden.

Das mit der Prüfung der Übergabe an Deutschland befasste Gericht in Amsterdam ersuchte den EuGH in dem Fall um Auslegung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl. Das niederländische Gericht hatte nämlich unter anderem Zweifel, ob ihm ein Ermessensspielraum bei der Überstellungsentscheidung zusteht.

Der EuGH in Luxemburg stellte nun in seinem Urteil fest, dass die vollstreckende Justizbehörde über einen solchen Ermessensspielraum verfügen müsse. Er sei unerlässlich, um bestimmen zu können, ob die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist oder nicht.

Anderenfalls werde die „bloße Möglichkeit“, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls wegen des Verbots der Doppelbestrafung zu verweigern, durch eine echte Verpflichtung ersetzt – obwohl diese Weigerung die Ausnahme und die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls die grundsätzliche Regel darstelle.

Keinen Ermessensspielraum habe die vollstreckende Justizbehörde jedoch, wenn eine vorherige Strafverfolgung in einem EU-Mitgliedsland und nicht in einem Drittstaat erfolgt sei. Im letzteren Fall müsse die Justizbehörde bei der Ausübung ihres Ermessensspielraums zudem eine Abwägung vornehmen. Dabei müssten unter anderem die Bekämpfung der Kriminalität und die Rechtssicherheit rechtskräftig Verurteilter miteinander in Einklang gebracht werden.

Der Grundsatz des Verbots einer Doppelbestrafung für dieselben Taten geht auf das römische Recht zurück. Der entsprechende Grundsatz lautet „ne bis in idem“ – nicht zweimal für dasselbe.

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