Die Bundesregierung hat die Erwartungen an die für Juni geplante Aufhebung der Impfpriorisierung gedämpft. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am Freitag in Berlin, die Neuerung „heißt nicht, dass wir innerhalb von einer Woche gleich jedem einen Termin machen“ und im Juni schon alle impfen könnten. Auch Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) sagte, die Menschen müssten sich auf Wartezeiten einstellen.
Spahn sagte zu den Impfungen ohne Priorisierung: „Das wird bis in den Sommer hinein gehen müssen.“ Er hatte am Donnerstag angekündigt, dass im Juni voraussichtlich die Priorisierungen aufgehoben werden können, die den Zugang zu den Impfungen bislang noch an bestimmte Voraussetzungen knüpfen. Möglich werden soll dies durch die deutlich gestiegene Menge an Impfstofflieferungen.
Braun sagte der „Augsburger Allgemeinen“: „Wenn die Hersteller so liefern, wie sie es uns versprochen haben, dann werden wir im Laufe des Mai so viel Impfstoff bekommen, dass wir allen, die eine Priorisierung haben, ein Impfangebot machen können.“ Dann könne ab Juni begonnen werden, über die Betriebsärzte und über die Hausärzte auch die breite Bevölkerung zu impfen.
„Die Priorisierung können wir Anfang Juni aller Voraussicht nach aussetzen“, fügte Braun hinzu. „Das heißt nicht, dass dann schon Anfang Juni für alle genug Impfstoff vorhanden sein wird.“ Es bleibe aber dabei, dass bis zum Sommer jedem ein Impfangebot gemacht werden könne.
Spahn hofft darauf, dass durch die Einbeziehung der Betriebsärzte auch Menschen von der Impfung überzeugt werden könnten, die bislang noch unentschlossen seien. „Es kommt dann die Phase, wo es um die diejenigen geht, die noch unentschieden sind“, sagte der Minister. Dabei spielten die Impfungen in den Betrieben eine wichtige Rolle.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht die Aufhebung der Impfpriorisierung kritisch. „Nicht die Priorisierung, sondern zu wenig Impfstoff ist das Problem“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Nachrichtenagentur AFP. „Die Reihenfolge abschaffen wird also keine zusätzliche Spritze mehr bringen.“ Jedoch würden in den Impfzentren und bei den Praxen immer mehr Menschen vorstellig, „die ihre Impfung robust einfordern“.
Die Medizinethikerin Christiane Woopen forderte eine schnellere Impfung sozial benachteiligter Menschen. „Ich würde Impfmobile in sozial schwierige Viertel schicken“, sagte die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats der „Rheinischen Post“. Die Impfungen müssten Familien und Arbeitsorte erreichen, wo es Probleme mit dem Abstandhalten gebe und „Menschen mit schlechtem Zugang zum Gesundheitssystem“.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) begrüßte unterdessen die Entscheidung einiger Bundesländer, den Impfstoff von Astrazeneca nun doch wieder auch Menschen unter 60 anzubieten. Dies sei eine „sehr vernünftige Maßnahme“, sagte PEI-Präsident Klaus Cichutek in Berlin. Wegen einer Reihe von Hirnvenenthrombsen bei jüngeren Menschen war die Abgabe des Vakzins zuvor auf Menschen ab 60 beschränkt worden.
Cichutek verwies darauf, dass der Impfstoff von Johnson & Johnson bezüglich der Hirnvenenthrombosen offenbar weniger riskant sei als Astrazeneca. Während bei Johnson & Johnson in den USA ein Fall auf eine Millionen Impfungen komme, gebe es bei Astrazeneca in Europa eine Meldung pro 100.000 Impfungen. Deshalb verzichte die Ständige Impfkommission (Stiko) vorerst auf eine Altersbeschränkung für Johnson & Johnson.