Fast die Hälfte der ukrainischen Flüchtlinge beabsichtigt, längerfristig in Deutschland zu bleiben. Das geht aus einer Studie mehrerer Institute hervor, die das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung am Mittwoch veröffentlichte. Demnach wollen 44 Prozent zumindest noch einige Jahre oder sogar für immer bleiben.
Gegenüber einer früheren Befragung aus dem Spätsommer 2022 sind das fünf Prozentpunkte mehr. Von den 71 Prozent derjenigen Personen, die nicht für immer in Deutschland bleiben möchten, planen 38 Prozent, nach Kriegsende in die Ukraine zurückzukehren, weitere 30 Prozent wollen einen engen Kontakt nach Deutschland halten und zumindest zeitweise hier leben. Eine große Rolle für die Bleibeabsichten spielen die familiäre Situation und die soziale Integration: Wer beispielsweise einen Partner im Ausland hat, beabsichtigt deutlich seltener für immer in Deutschland zu bleiben.
Geflüchtete, die auf (Aus-)Bildungssuche sind, gute Deutschkenntnisse haben und sich hierzulande willkommen fühlen, wollen hingegen wahrscheinlicher für immer bleiben. „Das Zwischenfazit ist durchaus ermutigend – die gesellschaftliche Teilhabe hat zuletzt deutliche Fortschritte gemacht“, sagte Markus M. Grabka vom DIW Berlin. „Ein Selbstläufer ist das jedoch nicht“, ergänzte Yuliya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereichs „Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.
„Die Geflüchteten benötigen Planungssicherheit, ob sie sich in Deutschland langfristig aufhalten dürfen – auch wenn der Krieg beendet sein wird. Gerade für den Deutscherwerb und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sind die Perspektiven enorm wichtig.“ Insbesondere beim Erlernen der deutschen Sprache gab es bis Anfang 2023 deutliche Fortschritte: Drei von vier ukrainischen Geflüchteten haben zu diesem Zeitpunkt einen oder mehrere Deutschkurse besucht oder bereits abgeschlossen, am häufigsten einen Integrationskurs.
Die Deutschkenntnisse haben sich nach eigener Einschätzung der Geflüchteten seit dem Spätsommer 2022 verbessert: „Sehr gute“ oder „gute“ Deutschkenntnisse bescheinigen sich Anfang 2023 zwar mit acht Prozent nur wenige Geflüchtete, die Antwort „es geht“ fällt mit 27 Prozent (gegenüber zuvor 14 Prozent) jedoch deutlich häufiger. Der Anteil der Geflüchteten, die angeben „gar nicht“ der deutschen Sprache mächtig zu sein, hat sich mehr als halbiert (auf 18 Prozent Anfang 2023). „Da ein Großteil der Geflüchteten zu Jahresbeginn noch einen Integrationskurs besuchte, sollte der Anteil mit Abschlüssen mittlerweile weiter gestiegen sein. Durch weitere Sprachkursbesuche sowie den Austausch im Privaten und im künftigen beruflichen Alltag dürften sich die Deutschkenntnisse noch weiter verbessern“, sagte Nina Rother, Leiterin des Forschungsfelds „Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt“ am Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf-FZ) in Nürnberg. Die Erwerbstätigkeitsquote ist im Vergleich zum Spätsommer 2022 nur etwas gestiegen: 18 Prozent der 18- bis 64-Jährigen gehen zu Beginn des Jahres 2023 einer Beschäftigung nach, im Spätsommer 2022 waren es 17 Prozent. Über zwei Drittel der ukrainischen Geflüchteten, die Anfang 2023 (noch) nicht erwerbstätig waren, wollen dies sofort oder innerhalb des kommenden Jahres tun.
Das dürfte sich dann auch positiv auf das (bedarfsgewichtete) Haushaltseinkommen der Geflüchteten auswirken, das zum Befragungszeitpunkt bei durchschnittlich 850 Euro liegt. Der Medianwert, also das Einkommen genau in der Mitte der Verteilung, beträgt unter den geflüchteten Ukrainern nur 750 Euro und ist damit insgesamt weniger als halb so hoch wie in der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Einen erheblichen Teil der Geflüchteten machen Kinder und Jugendliche aus: Etwa jede zweite Ukrainerin ist mit mindestens einem minderjährigen Kind nach Deutschland gekommen, knapp die Hälfte dieser Kinder ist jünger als zehn Jahre.
Die meisten Kinder und Jugendlichen haben ihren Eltern zufolge insgesamt eine gute oder sehr gute Gesundheit. Das psychische Wohlergehen hat sich im Vergleich zur ersten Befragung leicht verbessert, liegt aber nach wie vor unter den Normwerten von anderen Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Während fast alle schulpflichtigen Kinder aus der Ukraine eine allgemein- oder berufsbildende Schule besuchen, nehmen nur wenige Eltern die Kindertagesbetreuung in Anspruch – auch wenn die Nutzung zunimmt: Jedes zweite Kind im Alter bis einschließlich sechs Jahren nimmt zu Beginn des Jahres 2023 eine außerhäusliche Kinderbetreuung in Anspruch.
„Ein ausreichend großes Angebot an Kita-Plätzen ist für die große Gruppe ukrainischer Geflüchteter in Deutschland wichtig: Für Eltern, um Sprachkurse besuchen und eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können – und für Kinder, um die Sprache zu lernen, einen strukturierten Alltag zu haben und Freunde zu finden“, sagte Andreas Ette, Leiter der Forschungsgruppe Internationale Migration am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden.