Nachgefragt! Antworten zu den häufigsten Fragen rund um die Migräne

Migräne - BIld: contrastwerkstatt / fotolia.com

Weltweit leiden rund 20 Prozent aller Frauen und rund acht Prozent aller Männer unter Migräne, viele von ihnen wiederholt oder sogar chronisch. Je nachdem, wie intensiv und regelmäßig die Migräne auftritt, kann die Lebensqualität der Betroffenen stark eingeschränkt sein. Dennoch gibt es gute Nachrichten: Sowohl zur Behandlung der akuten Migränebeschwerden als auch zur vorbeugenden Therapie stehen wissenschaftlich fundierte Leitlinien und wirksame Medikamente zur Verfügung.

Voraussetzung ist eine möglichst frühe und sichere Diagnose sowie eine Behandlung, die der individuellen Schwere der Erkrankung gerecht wird. Worauf es dabei ankommt, dazu informierten Experten am Lesertelefon. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Nachlesen.

Die Experten

v.l.n.r.: Dr. med. Anke Siebert; Dr. med. Axel Heinze; Prof. Dr. med. Martin Marziniak; Prof. Dr. med. Till Sprenger (Bild: pr, / pr|nrw)

Was unterscheidet die Migräne von Spannungskopfschmerzen?

Dr. med. Anke Siebert: Bei beiden Arten handelt es sich um so genannte primäre Kopfschmerzen, das heißt die Kopfschmerzen sind nicht das Symptom einer anderen Erkrankung. Diese Unterscheidung spielt bei der Diagnose eine wichtige Rolle – immerhin gibt es mehr als 200 Arten von Kopfschmerzen. In über 90 Prozent der Fälle handelt es sich jedoch um primäre Kopfschmerzen, bei denen der Kopfschmerz die Erkrankung an sich ist. Darunter kommen die Migräne und der Kopfschmerz vom Spannungstyp am häufigsten vor. Während eine Migräneattacke zwischen vier und 72 Stunden andauern kann, hält der Spannungskopfschmerz zwischen 30 Minuten und sieben Tagen an. Der Schmerzcharakter der Migräne ist typischerweise pulsierend und pochend, der Spannungskopfschmerz in der Regel dumpf, drückend oder spannend. Zudem tritt der Migränekopfschmerz mit Begleitsymptomen auf wie Geräusch, Licht- und Geruchsempfindlichkeit sowie Übelkeit und sogar Erbrechen. Beim Kopfschmerz vom Spannungstyp fehlen Begleitsymptome oder treten allenfalls vereinzelt und gering ausgeprägt auf. Im Gegensatz zum Spannungskopfschmerz kann sich der Migränekopfschmerz durch körperliche Anstrengung verstärken und die Betroffenen haben das Bedürfnis, sich unter Reizabschirmung zurückzuziehen.

Was sind mögliche Auslöser einer Migräne und wie komme ich ihnen auf die Spur?

Dr. med. Axel Heinze: Häufige Auslöser – auch Trigger genannt – sind zum Beispiel Hungern, Stress, die hormonellen Veränderungen zur Regelblutung oder Abweichungen vom gewohnten Schlaf-Wach-Rhythmus. Meist sind die Zusammenhänge mit den Migräneattacken offensichtlich. Allerdings wird die Bedeutung von Triggerfaktoren häufig überschätzt. Viele Betroffene glauben, wenn sie nur ihre Auslöser identifizieren könnten, hätten sie keine Migräne mehr. Doch die meisten Attacken ereignen sich ohne erkennbare Triggerfaktoren. Das Meiden erkannter Auslöser kann die Migräne in der Regel nicht beseitigen, eventuell aber etwas seltener machen.

Was hilft bei einer akuten Migräneattacke?

Prof. Dr. med. Till Sprenger: Bei leichteren Attacken kann teilweise die lokale Anwendung von Pfefferminzöl oder eines Eisbeutels hilfreich sein, aber in den meisten Fällen wird eine akute Behandlung mit Medikamenten erforderlich sein. Diese kann mit einfachen Schmerzmitteln erfolgen oder bei heftigeren Attacken mit migränespezifischen Medikamenten, so genannten Triptanen. Je früher die Medikamente im Rahmen einer Attacke eingenommen werden, desto wirksamer sind sie. Allerdings kann eine zu häufige Einnahme von Akutmedikamenten neben vermehrten Nebenwirkungen wiederum selbst zu chronischen Kopfschmerzen führen – dem so genannten Medikamentenübergebrauchskopfschmerz. Insbesondere bei gehäuftem Auftreten von Migräneattacken ist deshalb eine ärztliche Rücksprache sinnvoll, um eine angemessene Therapie zu besprechen.

Wie vermeide ich einen Medikamentenübergebrauch?

Prof. Dr. med. Martin Marziniak: Der Kopfschmerz aufgrund von Medikamentenübergebrauch entsteht meist, wenn die Schmerzmittel über Monate oder gar Jahre häufig und zunehmend öfter eingenommen werden. Patienten mit häufiger beziehungsweise chronischer Migräne sind daher besonders gefährdet. Konkret: Wer an mehr als 15 Tagen im Monat ein einfaches Schmerzmittel wie ASS, Ibuprofen oder Paracetamol einnimmt oder an mehr als zehn Tagen ein Triptan oder ein Kombinationspräparat mit ASS, Paracetamol oder Koffein, läuft Gefahr, einen Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch zu entwickeln. Dieses Risiko besteht auch bei Opiaten, die allerdings bei Migräne möglichst nicht zum Einsatz kommen sollten. Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung der vorbeugenden Maßnahmen gegen die Migräne sehr deutlich.

Ab wann gilt eine Migräne als chronisch?

Dr. med. Anke Siebert: Wenn die Kopfschmerzhäufigkeit zunimmt, kann sich aus einer episodischen eine chronische Migräne entwickeln. Das erleben jedes Jahr zwischen 2,5 bis 14 Prozent der Patienten mit episodischer Migräne. Definitionsgemäß gilt eine Migräne als chronisch, wenn der Patient häufiger als jeden zweiten Tag Kopfschmerzen erleidet, die an wenigstens acht Tagen im Monat migräneartige Symptome aufweisen.

Wie behandelt man eine chronische oder episodische Migräne?

Dr. med. Axel Heinze: Grundsätzlich setzt sich die Migränebehandlung aus der medikamentösen Attackenbehandlung, der medikamentösen Prophylaxe und nicht-medikamentösen vorbeugenden Maßnahmen zusammen. Ziel der Vorbeugung ist es, die Häufigkeit, aber auch die Intensität und Dauer der Migräneattacken zu verringern. Die dennoch auftretenden Anfälle sollen dann durch effektive Medikamente schnell und nebenwirkungsarm behandelt werden, so dass die Lebensqualität durch die Migräne möglichst wenig beeinträchtigt wird. Wirksame Therapieverfahren für die episodische und chronische Migräne sind in der Therapieleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft zusammengefasst.

Welche Möglichkeiten der vorbeugenden Therapie gibt es?

Prof. Dr. med. Till Sprenger: Wir unterscheiden hier medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapieoptionen. Letztere sollten als Basis der Migränevorbeugung möglichst von allen Migränebetroffenen konsequent umgesetzt werden. Das beginnt mit einem strukturierten Lebensrhythmus, zu dem feste Schlaf- und Wachzeiten gehören, ergänzt durch regelmäßigen Ausdauersport sowie die Anwendung von Entspannungsverfahren wie der progressiven Muskelrelaxation. Bei häufigen oder sehr schweren Attacken kann eine – in der Regel vorübergehende – vorbeugende Therapie mit Medikamenten durchgeführt werden. Hier stehen verschiedene Substanzen zur Verfügung, die in Studien einen positiven Effekt auf die Migräne gezeigt haben. Ein Teil davon, zum Beispiel Betablocker, Antiepileptika oder Antidepressiva, wurde ursprünglich gegen andere Erkrankungen entwickelt. Diese Medikamente werden in Tablettenform angewendet. Einen neuen Ansatz verfolgen spezifisch gegen Migräne entwickelte Medikamente, sogenannte monoklonale Antikörper, die in Spritzenform Verwendung finden. Bei chronischer Migräne kommt zudem eine Behandlung mit Botulinumtoxin in Frage.

Was unterscheidet die neuen Medikamente von den bisherigen?

Dr. med. Axel Heinze: Die neuen Medikamente gehören zur Gruppe der so genannten CGRP-Antikörper (Calcitonin Gene Related Peptide) und wurden eigens für die Migräneprophylaxe entwickelt. Sie blockieren im trigeminalen Nervensystem jene Botenstoffe, die an der Schmerzauslösung beteiligt sind. Bisher sind in Deutschland drei Wirkstoffe zugelassen: Fremanezumab, Galcanezumab und Erenumab, die monatlich gespritzt werden. In einer höheren Dosierung ist – wenn auch nicht bei allen Wirkstoffen – eine quartalsweise Anwendung möglich. Bei einem Teil der Patienten konnten mit den neuen Medikamenten bereits sehr gute Erfolge erzielt werden; darüber hinaus haben sie den Vorteil, dass sie gut verträglich sind.

Welche Patienten sollten einen monoklonalen Antikörper zur Migräneprophylaxe bekommen?

Prof. Dr. med. Martin Marziniak: Aufgrund der Wirtschaftlichkeitsverordnung sollten die Patienten zunächst mit den herkömmlichen Migräne-Prophylaktika behandelt werden. Wenn diese nicht wirken, sie diese nicht vertragen oder bestimmte Wirkstoffe für den Patienten aufgrund von anderen Erkrankungen oder der speziellen Lebenssituation generell nicht geeignet sind, kann auf die neuen Antikörper zurückgegriffen werden.

Was kann ich selbst tun, um Migräneattacken oder -episoden zu verhindern?

Dr. med. Axel Heinze: Ihr wichtigster Beitrag ist das, was Mediziner etwas sperrig als „Therapieadhärenz“ bezeichnen. Vermeiden Sie konsequent die bekannten Auslöser für eine Migräneattacke, sorgen Sie für einen strukturierten Tagesablauf, Entspannung und Ausdauersport. Und nutzen Sie die heute verfügbaren medikamentösen Möglichkeiten der Migräneprophylaxe. Dazu zählt auch, die vorbeugende Therapie regelmäßig mit Ihrem behandelnden Arzt zu besprechen.

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