Psychologe klärt auf: Deshalb halten immer weniger Menschen die Corona-Regeln ein

Am Pfingstmontag kamen bei der Demo "Ravekultur retten" zahlreiche Menschen in Berlin zusammen. - imago images/Travel-Stock-Image

Die Zeiten der alleinigen Isolation sind vorbei. Mittlerweile ist es in allen Bundesländern wieder erlaubt, sich mit einem anderen Haushalt, einigen Freunden oder der Familie zu treffen. Doch diese Lockerungen sehen manche Menschen als Einladung an, sich in großen Trauben zu versammeln – eng an eng. Woher die nachlassende Vorsicht kommt, erklärt der schwedische Psychologe Dan Katz, Autor von „Angst kocht auch nur mit Wasser“, im Interview.

Die Corona-Regeln besagen nach wie vor, sich nicht in großen Gruppen zu treffen. Doch einige Menschen scheinen genug vom Social Distancing zu haben – und ignorieren die Vorschriften. Woran liegt das?

Dan Katz: Die allgemeine Regel über menschliches Verhalten besagt, dass wir eben das tun, was für uns funktioniert – und wir sind sehr kurzsichtig, wenn uns dabei nichts aufhält. Als sehr soziale Lebewesen fühlen wir uns sofort bestätigt und wohl, wenn wir uns zu gesellschaftlichen Zusammenkünften treffen, in Restaurants oder Cafés gehen.

Ein weiterer Mechanismus ist, dass wir unbewusst weniger Angst vor etwas haben, wenn wir uns so verhalten, als wäre es nicht gefährlich. Eben diesen Mechanismus setzen Therapeuten sehr erfolgreich ein: Wenn Sie Angst vor Spinnen haben, verhalten Sie sich so, als hätten Sie keine Angst vor ihnen. Gehen Sie in deren Nähe und heben Sie sie vorsichtig auf – Ihre Angst verschwindet allmählich.

Leider kann dieser Mechanismus auch in Situationen hervorkommen, in denen wir eigentlich Angst haben sollten. Ein Beispiel ist unvorsichtiges Autofahren: Wenn Sie Risiken eingehen, kann das die ersten Male gut gehen. Je öfter man dieses Verhalten an den Tag legt und es geschieht nichts, desto mehr nehmen Angst und Vorsicht ab. Doch beim 100. Mal kann ein Unfall passieren. Genau das lässt sich auf die Vorschriftenmissachtung wegen des Coronavirus beziehen. Wer Regeln missachtet, wird zunächst Sicherheit verspüren. Man hat mehr Spaß und weniger Angst, da man sich so verhält, als ob keine oder nur eine sehr geringe Gefahr bestünde. Das kann zu einem sehr gefährlichen Teufelskreis werden.

Zunächst waren es eher Einzelfälle, dass sich Personen in größeren Gruppen getroffen haben. Der Rave in Berlin vergangene Woche zeigte allerdings, dass manche Menschen offenbar immer unvorsichtiger werden. Warum?

Katz: Dieser weitere Mechanismus heißt „Soziales Lernen“. Wir kopieren – bewusst oder unbewusst – das Verhalten anderer. Wenn wir also sehen, dass sich viele Menschen verhalten, als gäbe es keine Gefahr durch das Coronavirus – wie in großen Gruppen nah beieinander Zeit zu verbringen – kopieren wir das Verhalten und denken ebenfalls, dass kein Risiko besteht.

Hinzu kommt, dass in vielen Gesellschaften ängstliches und vorsichtiges Verhalten verhöhnt wird. Wir neigen dazu, risikofreudige Menschen zu bewundern und vorsichtige zu verspotten. Und wer möchte schon als Feigling betrachtet werden? Vor allem bei jungen Leuten kann es deshalb sogar einen sozialen Druck geben, nachlässig zu werden.

Wie sollten wir reagieren, wenn sich Menschen aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis über die Regelungen hinwegsetzen?

Katz: Grundsätzlich gilt: Wenn Sie das Verhalten eines Menschen ändern möchten, verwenden Sie „positive Verstärkung“. Wenn jemand etwas macht, das Ihnen zusagt, belohnen Sie dieses Verhalten. Bedanken Sie sich bei jemanden, der sich Ihnen gegenüber vorsichtig verhält und loben Sie Ihre Kinder, wenn sie sich die Hände waschen und den Sicherheitsabstand einhalten. Vergessen Sie dabei nicht, dass Sie vor allem für Ihre Kinder ein Vorbild sind. Erwarten Sie also nicht von einer Person, rücksichtsvoll zu sein, wenn Sie es auch nicht sind.

Wenn aber jemand eine andere Meinung in Bezug auf die Corona-Maßnahmen hat, ist es das Beste, darüber zu sprechen und der Person zu zeigen, dass Sie ihr zuhören – auch wenn Sie nicht einer Meinung sind. Denn wenn Sie deren Argumente zu heftig kritisieren, werden sie Ihnen gar nicht zuhören.

Doch Behutsamkeit ist nicht in allen Situationen die Devise. Wenn es etwa einen Notfall gibt, kann man auch deutlicher werden. Leider ist es manchmal nötig, „negative Verstärkung“ und Bestrafung anzuwenden. Sagen Sie den Leuten mit scharfer Stimme, vorsichtiger zu sein und verständigen sie notfalls die Polizei, falls Sie eine Menschenmenge dicht an dicht gedrängt sehen.

Anzeige



Anzeige

Avatar-Foto
Über Redaktion des Nürnberger Blatt 44855 Artikel
Hier schreiben und kuratieren die Redakteure der Redaktion des Nürnberger Blatt