Serienfinale von „Tote Mädchen lügen nicht“: Top oder Flop?

Clay (Dylan Minnette) steht im Fokus der letzten Staffel "Tote Mädchen lügen nicht". - David Moir/Netflix

Seit der ersten Staffel im Jahr 2017 sorgt der Netflix-Hit „Tote Mädchen lügen nicht“, im Original „13 Reasons Why“, für Kontroversen. Da macht auch die finale vierte Staffel, die seit 5. Juni beim Streamingdienst verfügbar ist, keine Ausnahme. Für die Clique um Clay Jensen (Dylan Minnette, 23) werden die letzten zehn Folgen – die in einem über eineinhalbstündigen Finale ihren Abschluss finden – zur Zerreißprobe. Psychisch wie emotional wird den Teenagern wie üblich alles abverlangt. Ohne eine letzte große Tragödie geht es natürlich nicht. Doch ein würdiger Abschied sieht anders aus. Das passiert im Serienfinale.

Trauriger Abschied: Diese Figur stirbt in Staffel vier

Die erste Szene der vierten Staffel spielt auf einer Beerdigung und macht deutlich, dass eine weitere Serienfigur das Zeitliche segnet. Die Aufklärung gibt es erst im Finale: Justin Foley (Brandon Flynn, 26) hat sich mit HIV infiziert, offenbar während seiner Drogenzeit, als er auf der Straße lebte und für Geld mit Männern schlief. Justin bricht auf dem Abschlussball zusammen. Im Krankenhaus erfährt Familie Jensen, dass die Krankheit Aids bereits ausgebrochen ist und sich in seinem Körper ausgebreitet hat. Er stirbt im Krankenhaus – nach tränenreichen Abschieden von Clay und Jessica Davis (Alisha Boe, 23).

Justins Tod kann durchaus als kontroverse Entscheidung eingeordnet werden, bedenkt man, dass ein HIV-Infizierter heute mit entsprechender Therapie bekanntlich gut und lange leben kann. Sein Gesundheitszustand geht in Lichtgeschwindigkeit den Bach hinunter. Außerdem erscheint es mehr als fragwürdig, dass seine HIV-Infektion während seines Drogenentzuges nicht festgestellt wurde. Justin hat eine der besten Figurentwicklungen hingelegt: Er überwindet seine Drogensucht, findet eine Familie, die ihn liebt, schafft es aufs College und wird mit dem Tod „bestraft“. Das ist nicht nur tragisch, sondern kaum nachvollziehbar.

Fliegt der Mörder von Bryce Walker auf?

Ein weiteres bestimmendes Thema: Fliegt auf, dass Montgomery „Monty“ de la Cruz (Timothy Granaderos, 33) der Mord an Bryce Walker (Justin Prentice, 26) angehängt wurde? Am Ende von Staffel drei kam heraus, dass Bryce von Zach Dempsey (Ross Butler, 30) schwer verprügelt und schließlich von Alex Standall (Miles Heizer, 26) ins Wasser gestoßen wurde, wo er ertrank. Winston Williams (Deaken Bluman), der in Staffel drei ein kurzes Techtelmechtel mit Monty hatte, wechselt zum Abschlussjahr an die Liberty High, um den wahren Mörder von Bryce zu entlarven.

Winston verdächtigt mehrere Personen aus der Clique, bekommt bei seinen Nachforschungen tatkräftige Unterstützung von der Footballmannschaft und verliebt sich dann ausgerechnet in Alex. Der beichtet ihm seine Tat im Staffelfinale. Doch Winston verpfeift Alex nicht bei der Polizei, sondern behält das Geheimnis um Bryces Tod für sich – da Alex seine Tat offenbar tief bereut. Auch die Polizei legt den Fall Bryce Walker endgültig zu den Akten. Der Vater von Alex, ein Cop, half tatkräftig beim Vertuschen mit. Aber sendet das die richtige Message an die Zuschauer?

Fazit

„Tote Mädchen lügen nicht“ startete mit einer starken ersten Staffel im Jahr 2017. Die ersten 13 Folgen basieren auf dem gleichnamigen Buch von Jay Asher (44) und drehen sich um den Selbstmord von Hannah Baker (Katherine Langford, 24). Die Staffeln zwei, drei und vier bauten kontinuierlich ab. Die Serie entwickelte sich von einem Teenie-Drama über einen Justizshowdown (Staffel zwei) und ein Mord-Mystery (Staffel drei) bis hin zu einem Psycho-Thriller (Staffel vier) – mit jeder Menge Nebenhandlungen, dass man fast den Überblick verliert.

In den finalen zehn Folgen redet etwa nicht nur ein psychisch angeschlagener Clay mit den Geist-Erscheinungen verstorbener Figuren – ist das nicht etwas zu viel des Guten? Dafür wird Ani Achola (Grace Saif, 24), die in Staffel drei als Erzählerin fungiert – ein großer Kritikpunkt – kurzerhand für mehrere Folgen aus dem Plot geschrieben. Jessica Davis, die in Staffel eins von Bryce vergewaltigt wurde und nun Schulsprecherin ist, propagiert zwar, wie unabhängig und stark sie sei, sucht sich dann aber den nächsten Footballer als Freund aus? Das passt irgendwie nicht wirklich zusammen.

Es gibt weitere Unstimmigkeiten. In der Schule wird ein Amoklauf für den Ernstfall inszeniert, bei dem sich Clay eine Waffe greift, in der Psychiatrie landet, dort aber abhaut und kurz darauf zurück in seinen Alltag darf. Auch Zach fällt mit seinem Verhalten auf. Er wendet sich dem Alkohol zu und nimmt eine „Keinen Bock“-Haltung ein. Er demoliert sogar Schuleigentum. Ach ja, und Clay verursacht mit Zachs Auto einen schweren Unfall, bei dem Zach verletzt wird. Außerdem zündet Clay das Auto des Direktors an. Konsequenzen? Fehlanzeige. Immerhin geht Clay aber zur Therapie.

Die Serienmacher von „Tote Mädchen lügen nicht“ scheinen selbst aus ihrer eigenen Show nichts gelernt zu haben. Stattdessen wird der Plot gekünstelt aufgeblasen. Mehr Action, mehr Spannung, mehr Drama sorgen dafür, dass die Figurentwicklung stagniert, Hannahs Tod im Grunde im Nichts verpufft und nur noch ein paar weitere gesellschaftskritische Themen in Windeseile angeschnitten werden. Dass alle übrig gebliebenen Charaktere ein Happy End bekommen, wirkt zudem realitätsfern. Es bleibt ein fader Beigeschmack. Weniger ist mehr, das hätte sich die Serie für das Finale zu Herzen nehmen sollen.

Wir haben uns entschieden über eine Serie mit Inhalt über Suizid und Depressionen zu berichten. Hilfe bei Depressionen bietet die Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummer: 0800 / 111 0 111. Bitte zögere nicht dort anzurufen, wenn Du Hilfe benötigst!

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