Nach der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ist in dem historischen Kuppelbau in Istanbul erstmals seit Jahrzehnten wieder ein muslimisches Freitagsgebet abgehalten worden. Rund tausend Gläubige nahmen an der Zeremonie im Beisein des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan teil, der die Umwandlung zur Moschee seit langem gefordert hatte. Auch vor der früheren byzantinischen Kathedrale versammelten sich tausende Gläubige, um an der Zeremonie teilzuhaben.
Wegen der Corona-Pandemie durften nicht mehr als tausend Gläubige die Hagia Sophia betreten, die ersten wurden ab 10.00 Uhr hineingelassen. „Das ist ein historischer Moment. Möge Allah Erdogan segnen. Er tut so schöne Dinge“, sagte eine der Gläubigen, Aynur Saatci. Bewegt zeigte sich auch Selahattin Aydas. „Das ist der Moment, in dem die Türkei ihre Ketten bricht. Sie wird nun in der Lage sein, das zu tun, was sie will – ohne dem Westen unterworfen zu sein“, sagte er.
Erdogan saß bereits vor Beginn des eigentlichen Gebets in der Hagia Sophia und hörte der Predigt des Imams zu, wie Aufnahmen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zeigten. Der islamisch-konservative Präsident trug zwischenzeitlich eine Atemschutzmaske und befand sich in Begleitung einiger hoher Beamter. Vor dem Gebet las der Präsident, der zum Anlass eine islamische Mütze trug, eine Sure aus dem Koran vor, wie der staatliche Nachrichtensender TRT berichtete.
Der Staatschef hatte die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee am 10. Juli angeordnet, nachdem das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei zuvor den seit 1934 geltenden Museumsstatus des Gebäudes aufgehoben hatte.
Vom Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Griechenland kam scharfe Kritik. „Heute ist ein Tag der Trauer für das gesamte Christentum“, sagte Erzbischof Hieronymos. Er bezeichnete die Umwandlung als einen „unheiligen Akt der Schändung“. In Athen und Thessaloniki kündigten religiöse und nationalistische Gruppen Proteste an.
Kritik hatte es zuvor auch aus anderen Ländern gegeben. Paris und Berlin bedauerten die Entscheidung der türkischen Regierung. US-Außenminister Mike Pompeo hatte von einer „Verpflichtung“ Ankaras „zum Respekt gegenüber den Glaubenstraditionen und der diversen Geschichte“ der türkischen Republik gesprochen.
Die UN-Kulturorganisation Unesco hatte scharf protestiert und darauf verwiesen, dass der Kuppelbau als Teil der Istanbuler Altstadt zum Weltkulturerbe gehöre und damit „eine Reihe von Zusagen und rechtlichen Verpflichtungen verbunden“ seien. Ein Staat dürfe „keine Veränderung an dem herausragenden universellen Wert“ eines Welterbe-Monuments vornehmen.
Beobachter gehen davon aus, dass Erdogan die Umwandlung der Hagia Sophia vorangetrieben hat, um seine religiöse Wählerschaft inmitten von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die durch die Corona-Pandemie zusätzlich verschärft wurden, zu mobilisieren.
Die Hagia Sophia wurde im 6. Jahrhundert zunächst als Basilika errichtet und war über Jahrhunderte die Hauptkirche des Byzantinischen Reiches und eine der wichtigsten Kirchen der Christenheit. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 wurde sie in eine Moschee umgewandelt.
Nach der türkischen Republikgründung wurde sie 1934 zum Museum erklärt. Die Umrüstung in ein Museum war eine zentrale Reform der modernen Republik unter der Führung des säkularen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk.