Historischer Tag: EU-Marathongipfel endet mit Einigung auf 1,8 Billionen schweres Finanzpaket

Charles Michel und Ursula Von Der Leyen - Bild: Stephanie Lecocq/Pool via REUTERS
Charles Michel und Ursula Von Der Leyen - Bild: Stephanie Lecocq/Pool via REUTERS

Es ist vollbracht: Der EU-Gipfel zum Corona-Hilfsfonds und dem nächsten Gemeinschaftshaushalt ist nach vier Tagen und vier Nächten mit einer Einigung auf ein 1,8 Billionen schweres Finanzpaket zu Ende gegangen. „Deal!“, schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel am frühen Dienstagmorgen im Kurzbotschaftendienst Twitter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich „sehr erleichtert“. Mehrere Teilnehmer lobten ihren gefundenen Kompromiss als „historisch“.

Seit Freitag hatten die Staats- und Regierungschefs zunächst insbesondere über den Aufbauplan gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise verhandelt. Er wird nun wie geplant 750 Milliarden Euro schwer und soll die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in den besonders stark getroffenen Mitgliedstaaten abmildern. Finanziert werden soll er durch gemeinsame Schulden, die von der EU-Kommission an den Finanzmärkten aufgenommen werden. 

Über die Zusammensetzung des Hilfsfonds wurde tagelang knallhart gefeilscht. Die „sparsamen Vier“ Österreich, die Niederlande, Schweden, Dänemark wehrten sich gemeinsam mit Finnland grundsätzlich dagegen, gemeinschaftlich aufgenommene Schulden als nicht rückzahlbare Zuschüsse auszuzahlen. Sie forderten, nur Kredite zu vergeben.

Am Ende wurde der Zuschuss-Anteil von 500 auf 390 Milliarden Euro gesenkt. Dem fiel unter anderem ein großer Teil eines geplanten Klimafonds für Kohleregionen zum Opfer.

Die „Sparsamen“ setzten im Gegenzug erhebliche Erhöhungen der Nachlässe auf ihre EU-Beitragszahlungen durch. Nach dem Brüsseler Kompromiss belaufen sich diese Rabatte im Finanzzeitraum von 2021 bis 2027 nun auf 7,87 Milliarden Euro mehr als ursprünglich angedacht.

Die EU-Kommission und das Parlament hatten eine Abschaffung dieser Nachlässe für Länder gefordert, die mehr in den Haushalt einzahlen als sie daraus erhalten. Bundeskanzlerin Merkel verteidigte das System aber als notwendig für das „Gleichgewicht“. Auch Deutschland erhält einen Rabatt auf seine Beiträge. Mit 3,67 Milliarden Euro pro Jahr blieb dieser unverändert.

Die 750 Milliarden Euro an gemeinschaftlichen Corona-Schulden sollen laut der Einigung bis zum Jahr 2058 wieder abgetragen werden. Dafür vereinbarten die Staats- und Regierungschef die Einführung neuer Abgaben. Eine Abgabe auf nicht recyceltes Plastik soll ab dem 1. Januar 2021 fällig werden, bis 2023 sollen Einfuhrgebühren auf CO2-intensive Produkte aus Drittstaaten sowie eine spezielle Steuer für Digitalunternehmen folgen.

Verabschiedet wurde auch der nächste EU-Finanzrahmen für die Zeit von 2021 bis 2027, aus dem etwa Programme für Bauern, Regionen, Unternehmen oder Forscher finanziert werden. Er hat ein Volumen von 1074,3 Milliarden Euro.

In diesem Zusammenhang einigten sich die EU-Länder erstmals in der hoch umstrittenen Frage, ob EU-Gelder künftig bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden können. Dies ist nun grundsätzlich mit einer sogenannten qualifizierten Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten möglich. Viele Details blieben aber vorerst ungeklärt.

Polen und Ungarn, die beide wegen der Untergrabung von Werten wie der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz seit Jahren am Pranger stehen, hatten versucht, den Rechtsstaatsmechanismus zu verhindern. Beide zeigten sich am Ende zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis. Ungarns Regierungschef Viktor Orban sprach von einem „riesigen Sieg“. Seiner Ansicht nach wurden „alle Versuche, die Rechtsstaatlichkeit mit dem Haushalt zu verknüpfen gestoppt“.

Natürlich seien die Verhandlungen schwierig gewesen, sagte Ratspräsident Michel nach dem Marathon-Gipfel, der fast den Rekord des längsten Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs knackte. Lediglich ein Gipfel in Nizza im Jahr 2000 sei noch 25 Minuten länger gewesen, teilte der EU-Rat mit.

Laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kam die Einigung trotz der langwierigen Verhandlungen in Rekordzeit zustande: Sie hob hervor, dass sie den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Fonds erst vor zwei Monaten vorgeschlagen hatte: „Das ist in der Historie der EU ein absoluter Rekord für ein neues Haushaltsinstrument“. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem „historischen Tag für Europa“.

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