Karl Lauterbach ist bekannt dafür, Missstände in Deutschland im Kampf gegen die Corona-Pandemie anzuprangern. Angesichts der besorgniserregenden Entwicklungen in Spanien macht sich der SPD-Gesundheitsexperte jetzt aber auch für das Lieblingsurlaubsland der Deutschen stark. Deutschland müsse Spanien „unbürokratisch“ etwa in Form von Corona-Tests und Masken Hilfe leisten, sagte Lauterbach in einem Zeitungsinterview. Tatsächlich kämpft das Urlaubsland derzeit mit der höchsten Infektionsrate in Westeuropa und muss eine verheerende zweite Corona-Welle befürchten.
Vergangene Woche meldete Spanien im Schnitt mehr als 4900 Corona-Neuinfektionen pro Tag. Das ist mehr als im selben Zeitraum in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien zusammengenommen, wie die Nachrichtenagentur AFP errechnet hat.
Spanien war eines der ersten Länder in Europa, das sehr hart von der Corona-Pandemie getroffen wurde. Es gibt bereits mehr als 28.600 Todesopfer.
Dass die täglichen Infektionszahlen nun erneut in die Höhe geschossen sind, hat viele Länder veranlasst, mitten in der Hochsaison Reisebeschränkungen für das Land zu verhängen. Das Auswärtige Amt sprach am Freitag gar eine Reisewarnung für ganz Spanien außer den Kanaren aus – für den so wichtigen Tourismussektor des Landes eine Katastrophe.
Lauterbach hebt in seinem „taz“-Interview angesichts hemmungsloser Feiern etwa am Ballermann auf Mallorca hervor, dass die Deutschen zur erneuten Ausbreitung des Coronavirus in Spanien beigetragen haben: „Nicht alleine, aber auch deutsche Urlauber haben sich verantwortungslos verhalten, und das ist sehr bedauernswert.“ Daher solle Deutschland jetzt mit Testkapazitäten und Schutzausrüstung bei der Eindämmung der Pandemie helfen.
Handeln müssen aber vor allem die spanischen Behörden. „Wir sind genau an dem Punkt, an dem die Dinge besser oder schlechter werden können“, sagt Gesundheitsexperte Salvador Macip von der Offenen Universidad Cataluña in Barcelona. „Das bedeutet, wir müssen auf alle Stoppsignale zurückgreifen, um die Ausbrüche einzudämmen.“
Vergangene Woche zählte das spanische Gesundheitsministerium mehr als 500 Ausbruchsherde im Land. Notfall-Koordinator Fernando Simón räumte ein, dass sie mancherorts „nicht perfekt“ unter Kontrolle seien.
Diese Entwicklung kann verwundern angesichts der Tatsache, dass Spanien auf die erste schwere Infektionswelle Mitte März mit einem der striktesten Lockdowns in Europa reagiert hatte. Die Menschen durften ihre Wohnungen nur verlassen, um Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen, zum Arzt zu gehen oder ihren Hund auszuführen. Zu ihrem Arbeitsplatz durften sie nur, wenn Heimarbeit nicht möglich war. Kinder durften wochenlang gar nicht aus dem Haus.
Die Auflagen wurden nur langsam gelockert. Als sie am 21. Juni vollständig aufgehoben wurden, gab es lediglich 238 Neuinfektionen binnen eines Tages.
Doch schon in der ersten Juliwoche schnellten die Infektionszahlen nach oben. Joan Caylà, Leiter der nun mit dem Kampf gegen Corona befassten Tuberkulose-Forschungseinheit in Barcelona, erklärt dies damit, dass die Regierung die wirtschaftliche Öffnung überstürzt habe – „sicherlich aus Rücksicht auf den Tourismus“.
Hinzu kam laut Gesundheitsexperte Macip, dass mit dem Erntebeginn im Sommer einige Infektionsherde bei Erntehelfern auftraten. Außerdem habe das warme Sommerwetter die Spanier dazu verleitet, sich hinsichtlich Treffen mit anderen und körperlichem Kontakt gehen zu lassen. Dies alles habe zu einem „vollkommenen Sturm“ der Corona-Infektionen beigetragen, sagt Macip.
Dagegen helfen aus seiner Sicht vor allem Aufklärungskampagnen, mehr Corona-Tests und mehr Personal für die Rückverfolgung von Infektionsketten. In all diesen Bereichen habe es in Spanien aber „Schwächen“ gegeben, kritisiert Macip.
Lauterbach nennt die schnell steigenden Infektionszahlen in Spanien „sehr besorgniserregend“. Und der studierte Mediziner befürchtet noch Schlimmeres, wie er der „taz“ sagte: „In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Spanier sich bei dem gutem Wetter jetzt noch draußen aufhalten, lässt sich für den Winter eine schwere zweite Welle erwarten.“