Analyse: Wie Kamala Harris als Vize-Kandidatin Energie in Bidens Wahlkampf bringen soll

Kamala Harris - Bild: Gage Skidmore / CC BY-SA 2.0
Kamala Harris - Bild: Gage Skidmore / CC BY-SA 2.0

Die Entscheidung für Kamala Harris ist letztlich keine große Überraschung – aber ein historischer Schritt, der im Wahlkampf entscheidend sein könnte. Mit der charismatischen Senatorin aus Kalifornien könnten die USA erstmals in ihrer Geschichte eine Frau und eine Schwarze als Vizepräsidentin bekommen. Zunächst aber bringt die 55-Jährige als sogenannter Running Mate des designierten demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden neue Energie in die Wahlkampagne. Und das brauchen die Demokraten, wollen sie Präsident Donald Trump im November schlagen.

Bei der Oppositionspartei stieß Bidens Entscheidung auf breite Zustimmung, sogar Enthusiasmus. Ex-Präsident Barack Obama, die 2016 gescheiterte Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, Linken-Ikone Bernie Sanders – sie alle lobten Harris in höchsten Tönen.

Auch prominente Afroamerikaner jubelten: „Gratulationen und wohlverdient, Senatorin Kamala Harris“, schrieb Basketball-Superstar LeBron James auf Twitter. Die Schauspielerin Kerry Washington zog gar einen Vergleich zu Obamas historischem Wahlkampfmotto „Yes, we can!“ (Ja, wir können das!): „Yes We Kam!“ twitterte sie.

Bidens Wahlkampfteam verzeichnete am Tag der Bekanntgabe einen massiven Anstieg der Wahlkampfspenden. Diesen Energieschub hatte sich der 77-Jährige erhofft, der zwar von vielen Bürgern geachtet und gemocht wird, aber selbst keine Begeisterungsstürme auslöst.

„Die Auswahl von Senatorin Harris ist die beste Chance für den Biden-Wahlkampf, schnell Schwung aufzubauen“, analysieren Camille Busette und Makada Henry-Nickie von der Denkfabrik Brookings Institution. „Harris ist ein landesweit wohlbekannter Name und sie hat ihre Fähigkeit bewiesen, wirkliche Begeisterung zu entfachen und junge Wähler zu gewinnen.“

Mit Harris an seiner Seite will sich Biden vor allem den Rückhalt einer wichtigen Wählergruppen sichern: Afroamerikaner, insbesondere jüngere. Denn zwar genießt Obamas einstiger Vizepräsident bei Schwarzen große Sympathien – er muss sie aber auch in großer Zahl zur Stimmabgabe motivieren. Hillary Clinton hatte 2016 die Wahl gegen Trump auch deswegen verloren, weil in Schlüsselstaaten nicht genügend Afroamerikaner für sie stimmten. Sie gingen gar nicht erst zur Wahl.

Die Politikwissenschaftler Sam Fulwood und David Barker von der American University betonen, junge Afroamerikaner seien inzwischen eine zentrale Wählergruppe. „Die Aufgabe von Harris als Running Mate ist die Mobilisierung der schwarzen Wähler“, erklärt Theodore Johnson vom Brennan Center for Justice. 

Harris könnte aber nicht nur für viele Schwarze attraktiv sein. Die Tochter von Einwanderern aus Jamaika und Indien repräsentiert auch US-Bürger asiatischer Herkunft – und symbolisiert allgemein die Vielfalt des Landes. Als Frau soll sie zudem selbstverständlich Biden dabei helfen, Wählerinnen an sich zu binden, insbesondere in Vorstädten.

Harris bringt noch viele weitere Qualitäten mit: Als Senatorin und frühere Generalstaatsanwältin und damit Justizministerin von Kalifornien verfügt sie über große politische Erfahrung, sie ist wahlkampferprobt, eine mitreißende Rednerin und stark im Debattieren. Sie hat zwar einige linke Positionen etwa zur Gesundheitspolitik übernommen, ist ansonsten aber in der politischen Mitte verankert – und damit auch für moderate Republikaner und Unabhängige wählbar.

Während Trump als selbsternannter „Präsident von Recht und Ordnung“ seinen Rivalen Biden als schwach beim Thema Innere Sicherheit darstellen will, perlt dieser Vorwurf an Harris ab: Sie hatte als Staatsanwältin eher den Ruf eines harten Hundes, was ihr sogar Kritik von progressiven Demokraten einbrachte. Sie verkörpert damit eine Stärke, die viele Biden absprechen.

Zwar darf die Rolle des Running Mate nicht überbewertet werden: Vize-Kandidaten spielen im Wahlkampf klar eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Präsidentschaftskandidaten selbst.

Das könnte dieses Jahr aber anders sein: Bei einem Wahlsieg würde Biden mit 78 Jahren als ältester Präsident der US-Geschichte ins Weiße Haus ziehen, er dürfte nur eine Amtszeit anstreben. Die 22 Jahre jüngere Harris wäre dann prädestiniert als Nachfolgekandidatin. Biden hat Harris damit nicht nur für den 3. November ausgewählt – sondern als Option für die Zukunft.

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