Die absehbare Katastrophe: Nach der verheerenden Explosion beginnt die Suche nach den Schuldigen

Ammoniumnitrat - Bild: Firsthuman / CC BY-SA
Ammoniumnitrat - Bild: Firsthuman / CC BY-SA

Sechs Jahre lang sollen 2750 Tonnen gefährlichen Ammoniumnitrats ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen am Hafen von Beirut gelagert worden sein – bis sie am Dienstag explodierten. Die libanesische Hauptstadt ist nun in weiten Teilen verwüstet, mehr als hundert Menschen starben, Tausende wurden verletzt, bis zu 300.000 Menschen obdachlos. Über die Jahre hatte es offenbar zahlreiche Warnungen wegen des Lagers gegeben, doch blieb der gefährliche Stoff dort. Jetzt läuft die Suche nach den Verantwortlichen und den Ursachen für die Katastrophe:

WER WUSSTE VON DEM AMMONIUMNITRAT? 

Hafenbehörden, Zoll- und Sicherheitsdienste waren sich alle bewusst, dass gefährliche Chemikalien im Hafen gelagert wurden. Nun schieben sie sich gegenseitig die Verantwortung für das Unglück zu, wie es aus Sicherheitskreisen in Beirut heißt. Der Zolldirektor Badri Daher etwa will über die Jahre immer wieder auf das Problem hingewiesen haben. 

Die Regierung setzte nach den Worten von Außenminister Tscharbel Wehbe am Donnerstagmorgen einen Untersuchungsausschuss ein, der binnen vier Tagen einen detaillierten Bericht zu den Verantwortlichen für die Explosion liefern soll. Am Mittwoch hatte die Regierung zudem Hausarrest für die Verantwortlichen der heruntergekommenen Lagerhalle gefordert, in der nach vorläufigen Angaben ein Feuer ausbrach, das dann zu der verheerenden Explosion führte. 

Das Vertrauen in die Behörden ist jedoch gering und viele Libanesen trauen der Regierung keine unabhängige Untersuchung zu. Am Donnerstag unterstützte die Organisation Human Rights Watch die lauter werdenden Stimmen nach einer unabhängigen, internationalen Untersuchung. 

WOHER STAMMT DAS AMMONIUMNITRAT?

Nach Angaben aus Sicherheitskreisen soll der unter moldauischer Flagge fahrende Frachter „Rhosus“ 2013 für einen Stopp auf seinem Weg von Georgien nach Mosambik den Hafen in Beirut angefragt haben. An Bord des Schiffes befanden sich 2750 Tonnen Ammoniumnitrat, das unter anderem zur Herstellung von Sprengstoff gebraucht, aber auch für Düngemittel verwendet wird. Laut der Webseite Marine Traffic kam das Schiff am 20. November 2013 in Beirut an – und legte dort niemals wieder ab. 

WARUM WURDE DAS SCHIFF ENTLADEN?

Libanesischen Sicherheitsquellen zufolge reichte eine libanesische Firma während des Transits der „Rhosus“ in Beirut eine Beschwerde gegen das Frachtunternehmen ein. Die örtliche Justiz beschlagnahmte daraufhin die „Rhosus“. Die Ladung wurde in den Hangar Nr. 12 gebracht, der beschlagnahmten Gütern vorbehalten war. Das Schiff wurde beschädigt und sank schließlich. 

Im Juni 2019 leiteten die libanesischen Sicherheitsbehörden eine Untersuchung zur Fracht ein, nachdem wiederholt Informationen über üble Gerüche aus der Lagerhalle eingegangen waren. In ihrem Bericht heißt es, dass der Hangar „gefährliche Materialien enthält, die bewegt werden müssen“. Die Ermittler wiesen auch auf Risse an den Wänden des Lagers hin, die einen Einbruch ermöglichten und empfahlen eine Renovierung des Lagers. Die Hafenverwaltung nahm sich schließlich der Arbeiten an. Die Reparaturarbeiten sollen nach Angaben aus Sicherheitskreisen Auslöser für die Explosionskatastrophe gewesen sein. 

WARUM BLIEB DAS AMMONIUMNITRAT IN BEIRUT?

Normalerweise wird die Chemikalie unter strengen Sicherheitsvorkehrungen gelagert: So muss sie etwa von Brennstoffen und Wärmequellen ferngehalten werden. In vielen EU-Ländern muss Ammoniumnitrat zudem mit Kalk versetzt werden, um es sicherer zu machen. Nach den Explosionen veröffentlichte der Zolldirektor Badri Daher einen auf Dezember 2017 datierten Brief, in dem er die Staatsanwaltschaft bat, das Material entweder ins Ausland zu verlagern oder es an ein örtliches Unternehmen zu verkaufen. Der Brief war nach Angaben des Zolldirektors nur einer von vielen, den er wegen des Ammoniumnitrats über die Jahre an die Staatsanwaltschaft geschickt habe. 

Laut Riad Kobaisi, einem auf Korruptionsfälle spezialisierten libanesischen Enthüllungsjournalisten, versuchen die Zollbehörden, jegliche Verantwortung von sich zu weisen. Grundsätzlich sei es jedoch verboten, solche Chemikalien ohne Genehmigung überhaupt in den Libanon einzuführen. Für ihn zeige der Fall das Ausmaß der Korruption innerhalb des Zolls, der die Haupt-, aber nicht die ausschließliche Verantwortung für die Tragödie trage. 

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