Staatsmännische Zurückhaltung hatte niemand von Donald Trump erwartet. Aber das Feuerwerk an Attacken, das der US-Präsident in seiner 70-minütigen Nominierungsrede auf seinen Rivalen Joe Biden losließ, war dann doch von ungewöhnlicher Dimension. „Zerstörer von Amerikas Jobs“, „Zerstörer der amerikanischen Großartigkeit“, „trojanisches Pferd für den Sozialismus“ und die „radikale Linke“, „schwach“, verantwortlich für „Verrat und schwere Fehler“ – und natürlich dieser Satz: „Niemand wird in Bidens Amerika sicher sein.“
Mehr als 40 Mal nannte der Präsident seinen Herausforderer bei der Wahl am 3. November namentlich. Vor der Kulisse des Weißen Hauses warnte der Amtsinhaber, wer Biden wähle, bekomme „Anarchisten, Agitatoren, Randalierer, Plünderer und Flaggen-Verbrenner“ gleich mitgeliefert.
Es war eine düstere Rede, so wie der Rechtspopulist sie schon bei seiner Nominierung 2016 gehalten hatte, gespickt mit Übertreibungen, Unterstellungen, Falschaussagen. Und sie gibt einen weiteren Vorgeschmack darauf, wie die kommenden Wahlkampfwochen ablaufen werden.
Denn Trump, für den der Angriffsmodus quasi ein Dauerzustand ist, hat im Kampf für einen Verbleib im Weißen Haus einen weiteren Gang hochgeschaltet. Rund 65 Tage vor der in Trumps Worten „wichtigsten Wahl in der Geschichte unseres Landes“ liegt der Amtsinhaber in Umfragen hinter Ex-Vizepräsident Biden. Sein Umgang mit der Corona-Pandemie hat viele moderate Wähler vergrault, ebenso wie sein Umgang mit den beispiellosen Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt der vergangenen Monate.
Mehr als 180.000 Menschen sind in den USA seit Beginn der Pandemie an Covid-19 gestorben, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Und während die Welt erstaunt auf die schockierenden Zahlen in der mächtigsten Nation der Erde blickt, klang das Krisenmanagement seiner Regierung in Trumps Rede wie eine einzige Erfolgsgeschichte.
Während der Ansprache schien es ohnehin so, als sei Corona längst Geschichte: Rund 1500 Gäste verfolgten Trumps Rede auf dem Rasen vor der Südseite des Weißen Hauses, dicht nebeneinander sitzend, die meisten ohne Schutzmaske. Sorgen schienen sie sich keine zu machen. Die Begeisterung für ihr Idol aber war zu spüren, kräftiger Applaus und Rufe nach „vier weiteren Jahren“ für Trump im Weißen Haus begleitete die Rede des Präsidenten.
Der Rechtspopulist kann seine Zuhörer mitreißen – und mit „Recht und Ordnung“ hat er ein Thema gefunden, mit dem er inmitten der teils von Gewalt überschatteten Black-Lives-Matter-Proteste seine Basis mobilisieren kann. Trump präsentiert sich als Beschützer aller Bürger, als Verteidiger des kleinen Mannes, als Garant für innere Sicherheit.
Der 74-Jährige und seine Partei werfen Biden vor, der Polizei bei einem Wahlsieg die Finanzmittel streichen zu wollen und das Land damit ins Chaos zu führen. „Niemand wird in Bidens Amerika sicher sein“ – den Satz hatte Trumps Vize Mike Pence schon am Vorabend in nahezu identischer Form gesagt.
Dass Biden sich Forderungen des linken Lagers nach weniger Geld für die Polizei unter dem Motto „Defund the police“ entgegengestellt hat, kümmert Trump offenkundig wenig. Er setzt auf eine Angst-Kampagne, um Biden Wählerstimmen zu entreißen. Und sollten die Ausschreitungen am Rande der Anti-Rassismus-Proteste zunehmen, könnte diese Strategie tatsächlich aufgehen.
Biden hatte Trump schon vor dessen Rede vorgeworfen, er schüre gezielt die Spannungen. „Er setzt auf mehr Gewalt, nicht auf weniger. Er gießt Öl ins Feuer.“
Mit seiner Nominierungsrede hat Trump jedenfalls klar gemacht, wie er seinen Wahlkampf führen will. Das lässt aufreibende Wochen erwarten. Zum Abschluss von Trumps Nominierungsrede gab es noch ein großes Feuerwerk, ein echtes, kein verbales. Und die Opern-Arie „Nessun Dorma“. „Niemand schlafe“ – das gilt fortan auch für das politische Washington.