Der Finanzdienstleister Wirecard scheidet nach dem milliardenschweren Bilanzskandal zum 24. August aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) aus. Als Nachfolger steigt der Essenslieferdienst Delivery Hero in den deutschen Leitindex auf, wie die Deutsche Börse am Mittwochabend in Frankfurt mitteilte. Wirecard hatte Ende Juni Insolvenz angemeldet. Zuvor musste das Unternehmen einräumen, dass in der Bilanz aufgeführte Gelder von 1,9 Milliarden Euro, die vermeintlich auf asiatischen Bankkonten lagern sollten, nicht auffindbar seien.
Der Ausschluss von Wirecard ergibt auch Änderungen in den anderen Indizes: Im Tec-Dax rückt das Technikunternehmen LPKF Laser & Electronics auf, der Anlagenbauer Aixtron steigt in den M-Dax auf und der Baumarkt Hornbach in den S-Dax. Der erste Handelstag in der neuen Zusammensetzung ist der kommende Montag.
Die Deutsche Börse hatte vor einer Woche nach einer Umfrage unter Marktteilnehmern neue Regeln für einen Rauswurf insolventer Konzerne aus dem deutschen Leitindex bekanntgegeben. Künftig sollen insolvente Dax-Konzerne umgehend aus dem Dax ausgeschlossen werden. Zudem werden die betroffenen Unternehmen für ein Jahr aus dem Dax ebenso ausgeschlossen wie aus dem S-Dax, dem M-Dax und dem Tec-Dax. Auch für diese Indizes der Deutschen Börse soll die Reform gelten.
Der Finanzdienstleister hatte infolge des milliardenschweren mutmaßlichen Bilanzbetrugs Ende Juni Insolvenz angemeldet, sollte nach den bisherigen Regeln aber noch bis Ende September unter den 30 größten deutschen Unternehmen gelistet bleiben. Nach den bisherigen Vorgaben finden planmäßige Überprüfungen der Dax-Zusammensetzung nur alle drei Monate statt. Dieses Vorgehen hatte im Fall von Wirecard für Unverständnis und Kritik an den Märkten gesorgt.
Mit Delivery Hero steigt nun ein Berliner Technologiekonzern in den Leitindex auf und schreibt seine Erfolgsgeschichte fort: Das Unternehmen wurde 2011 gegründet und ging 2017 an die Börse. Dabei nahm der Online-Lieferdienst aus der Startup-Schmiede Rocket Internet knapp eine Milliarde Euro ein. Die Unternehmensgruppe ist weltweit in über 40 Ländern mit ihren Bestellplattformen aktiv und beschäftigt nach eigenen Angaben etwa 25.000 Mitarbeiter. Mit seinem Plattformmodell, bei dem Kunden an Restaurants und Lieferdienste vermittelt werden, wurde das Berliner Jungunternehmen schnell zu einem der bedeutendsten Tech-Konzerne Europas und wächst nach wie vor rasant.
Bekannt wurde Delivery Hero in Deutschland mit den eigenen sowie zugekauften Marken Lieferheld, Pizza.de und Foodora. Mittlerweile ist der Konzern hierzulande aber nicht mehr aktiv. Vor rund anderthalb Jahren verkaufte er das Deutschlandgeschäft an den niederländischen Konkurrenten Takeaway – dafür gab es abermals rund eine Milliarde Euro.
Das Geld nutzten die Berliner für ihre Expansion in anderen Erdteilen. Den Großteil seines Umsatzes erwirtschaftet Delivery Hero heute in Nahost und in Asien.
Der aggressiv vorangetriebene Wachstumskurs spiegelt sich zumindest auf den ersten Blick in beeindruckenden Konzernzahlen wieder. Delivery Hero verzeichnete im zweiten Quartal trotz eines Dämpfers zu Beginn der Corona-Krise 281 Millionen Buchungen auf seinen Plattformen, fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Der Konzern erwartet, dass sich auch der Jahresumsatz mehr als verdoppelt: auf 2,6 bis 2,8 Milliarden Euro.
Ob dieses Wachstum um jeden Preis aber auch nachhaltig ist, bleibt bislang fraglich. Seit Beginn läuft das Geschäft von Delivery Hero nicht profitabel. Im Jahr 2018 betrug der operative Verlust 242 Millionen Euro, 2019 waren es sogar 648 Millionen Euro. Dem Erfolg an der Börse schadet das offensichtlich nicht: Seit Jahresbeginn legte die Aktie um 47 Prozent auf rund 104 Euro zu. Der Konzern wird an der Börse mit 20,7 Milliarden Euro bewertet.