„Wir schaffen das“ – Ein Satz und viele Schicksale

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Angela Merkel - Bild: Tobias Koch - Lizenz: CC BY SA 2.0/3.0

Wir schaffen das“: Angela Merkels Appell zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015 ist weltweit zum Symbol geworden – für Flüchtlinge und ehrenamtliche Helfer verbinden sich aber ganz konkrete Erfahrungen damit. Eine von tausenden Deutschen, die sich damals spontan in der Flüchtlingshilfe engagierten, war die Münchnerin Gracia Schütte. Kurzentschlossen sei sie zum Hauptbahnhof gefahren, um heiße Suppe an Flüchtlinge zu verteilen, sagt sie der Nachrichtenagentur AFP. Später nahm sie drei junge Flüchtlinge bei sich auf; einer von ihnen lebt bis heute bei ihr.

Sie habe nicht zu jenen gehört, die von Anfang an gesagt hätten: „Das kriegen wir alles hin und das läuft total von selbst“, sagt Schütte fünf Jahre nach der deutschen Entscheidung, die Grenzen für Flüchtlinge nicht zu schließen. Die Schwierigkeiten bei der Integration von Migranten sollte man „realistisch“ sehen, meinte die heute 36-Jährige. Trotzdem stehe für sie außer Frage: Bei der Flüchtlingshilfe „wäre ich schon auf jeden Fall wieder dabei“.

Ihr Engagement habe sie „sehr verändert, auch als Person“, sagte Schütte. „Typisch münchnerisch“ sei sie gewesen, sagt die Kindergärtnerin rückblickend. Dinge, die ihr früher wichtig gewesen sein – dass „der Nagellack zur Handtasche und den Schuhen passt“ – seien den wichtigen Dingen im Leben gewichen: „Der Dankbarkeit, dem Bewusstsein dafür, dass wir, trotz allem, was in Deutschland los ist, im Gegensatz zu so vielen anderen ein sicheres Land haben.“

An die „extreme Freundlichkeit“, die ihm bei der Ankunft in Deutschland begegnet sei, erinnert sich Aeham Ahmad noch sehr gut. Der syrische Pianist mit palästinensischen Wurzeln erreichte den Münchner Hauptbahnhof am 23. September 2015 nach wochenlanger Flucht. Jarmuk, der Stadtteil von Damaskus, in dem er mit seiner Frau und zwei Kindern gelebt hatte, war zuvor von Kämpfern der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) erobert worden. 

Inzwischen hat der heute 32-Jährige sich ein neues Leben im nordrhein-westfälischen Warburg aufgebaut: Ein Jahr nach seiner Ankunft in Deutschland durften seine Frau und die beiden Söhne nachziehen, vor sieben Monaten kam seine Tochter zur Welt. Auch in der deutschen Musikszene hat sich Ahmad einen Namen gemacht: 720 Konzerte spielte er in den vergangenen fünf Jahren – nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland und sogar in Japan. 

Bereits in Syrien hatte Ahmad im Internet mit Musikvideos Bekanntheit erlangt, die er inmitten der Trümmer vom Krieg zerstörter Häuser aufgenommen hatte. In Deutschland setzte er seine musikalische Karriere zunächst mit Liedern über „diesen dummen Krieg“ in seinem Heimatland fort – und mit Songs über das Heimweh. Heute wolle er vor allem „Kulturen zusammenbringen und einen Dialog zwischen östlicher und westlicher Musik“ ermöglichen, sagt Ahmad. 

Trotz seines persönlichen Erfolgs machen Ahmad die Erfahrungen des Krieges und der Flucht noch immer zu schaffen. Für den Rest ihres Lebens werde seine Generation von den Grauen des Krieges und den Schwierigkeiten der Integration in ihren Aufnahmeländern geprägt bleiben, glaubt er. Anders sehe es bei der Nachfolgegeneration aus: Seine beiden Söhne sprächen bereits Deutsch „ohne jeglichen Akzent“, sagt er mit unüberhörbarem Stolz.

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