Im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Kaukasusregion Berg-Karabach stehen die Zeichen weiter auf Eskalation: Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew kündigte am Mittwoch an, die Kämpfe erst nach einem Abzug der pro-armenischen Rebellen aus dem Gebiet zu beenden. Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan schlug ein Vermittlungsangebot Russlands aus. International wächst die Befürchtung vor einer Ausweitung des Konflikts bis hin zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Moskau und Ankara.
Alijew kündigte an, den aserbaidschanischen Militäreinsatz so lange fortzusetzen, bis sich die Rebellenkämpfer vollständig aus Berg-Karabach zurückgezogen haben. Wenn „die armenische Regierung diese Forderung erfüllt, werden die Kämpfe und das Blutvergießen enden“, sagte er bei einem Besuch bei verletzten Soldaten.
Paschinjan sagte der russischen Nachrichtenagentur Interfax, es sei „unangemessen“, angesichts der „intensiven militärischen Auseinandersetzungen“ von einem „Gipfel zwischen Armenien, Aserbaidschan und Russland zu sprechen“. Voraussetzung für Verhandlungen sei eine „passende Atmosphäre“.
Die russische Regierung hatte angesichts des wieder aufgeflammten Konflikts um Berg-Karabach angeboten, zwischen den verfeindeten Nachbarstaaten zu vermitteln. Am Mittwoch bekräftigte Außenminister Sergej Lawrow das Angebot. In Telefonaten mit seinen Kollegen aus Armenien und Aserbaidschan bot er nach Angaben des russischen Außenministeriums an, die „Kontakte“ für Verhandlungen herzustellen und ein Außenministertreffen in Moskau zu organisieren.
Auch der UN-Sicherheitsrat hatte beide Seiten am Dienstagabend aufgefordert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die Kampfhandlungen „unverzüglich“ einzustellen.
Seit Beginn der Kämpfe am Sonntag wurden nach offiziellen Angaben beider Seiten mehr als hundert Menschen getötet, darunter auch 22 Zivilisten. Beide Konfliktparteien nehmen für sich in Anspruch, der Gegenseite noch deutlich größere Verluste zugefügt zu haben.
Im Konfliktgebiet dauerten die heftigen Gefechte auch am Mittwoch an. Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium erklärte, Truppen der selbsternannten Republik Berg-Karabach hätten die Stadt Terter bombardiert und dabei Zivilisten und zivile Einrichtungen unter Beschuss genommen.
Das Verteidigungsministerium der selbsternannten Republik Berg-Karabach meldete seinerseits aserbaidschanischen Beschuss auf Positionen pro-armenischer Verbände. Es warf den aserbaidschanischen Streitkräften ebenfalls vor, zivile Ziele anzugreifen.
Berg-Karabach liegt in Aserbaidschan, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt, welche die Region auch unter ihrer Kontrolle haben. Der Konflikt um die Region dauert bereits seit Jahrzehnten an.
Auf die einseitige Unabhängigkeitserklärung Berg-Karabachs während des Zerfalls der Sowjetunion folgte ein Krieg mit 30.000 Toten. Die selbsternannte Republik Berg-Karabach wird bis heute von keinem Land als eigener Staat anerkannt und gilt völkerrechtlich als Teil Aserbaidschans.
In der Region stehen Russland und der Türkei als geopolitische Konkurrenten gegeneinander. Armenien wirft Ankara vor, Aserbaidschan mit Waffen und Kämpfern zu unterstützen.
Auch Experten sehen es als erwiesen an, dass Ankara das ebenfalls turksprachige Aserbaidschan in dem Konflikt mit Waffen und Knowhow unterstützt. Aserbaidschan setze in dem Konflikt türkische Drohnen ein, welche die aserbaidschanische Armee nicht selbst bedienen könne, sagte der Leiter des Südkaukasus-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Stefan Meister, der Nachrichtenagentur AFP. Baku sei daher auf technisches Personal aus der Türkei angewiesen.
Eine wichtige Rolle in dem Konflikt spielt auch Russland, das historisch als Armeniens Schutzmacht gilt. Zugleich unterhält Moskau enge Beziehungen zu Aserbaidschan und hat die ehemalige Sowjetrepublik in den vergangenen Jahren auch immer wieder mit Waffen beliefert. Alle bisherigen Waffenstillstandsabkommen in dem Konflikt waren durch russische Vermittlung zustande gekommen.
Der UN-Sicherheitsrat forderte die Rückkehr der Konfliktparteien zu Verhandlungen innerhalb der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OSZE). Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Dienstag in Telefonaten mit Paschinjan und Alijew eine Wiederaufnahme der Gespräche gefordert. Die letzten großangelegten Verhandlungen im Minsk-Format waren 2010 gescheitert.