Der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat den Senat eindringlich aufgerufen, nicht bereits vor der Wahl im November über den Nachfolger der verstorbenen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg abzustimmen. Das Vorhaben von US-Präsident Donald Trump, den vakanten Posten im Supreme Court möglichst schnell zu besetzen, sei ein Akt „roher politischer Macht“, sagte Biden am Sonntag in einer Rede in Philadelphia. Trump gehe es um Macht. „Ausschließlich und schlicht.“
Wenn der Präsident der Kongresskammer einen Kandidaten präsentiere, dürften die Senatoren nicht tätig werden, „bis die Amerikaner ihren nächsten Präsidenten und ihren nächsten Kongress bestimmen konnten“, mahnte Biden, der Umfragen zufolge auf einen Sieg bei der Präsidentschaftswahl am 3. November hoffen kann.
„Wenn Donald Trump die Wahl gewinnt, dann sollte der Senat über seine Auswahl entscheiden – und diesen Nominierten fair beurteilen“, fügte der Demokrat hinzu. „Aber wenn ich die Wahl gewinne, sollte Präsident Trumps Nominierung zurückgezogen werden.“
Den republikanischen Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, kritisierte Biden dafür, dass dieser „in der Stunde nach der Verkündung des Todes“ von Ginsburg bereits angekündigt habe, eine Abstimmung über ihre Nachfolge zu organisieren.
Ginsburg war am Freitag im Alter von 87 Jahren an Krebs gestorben. Die entstandene Vakanz im Supreme Court bietet den Republikanern die Chance, dort womöglich für Jahrzehnte eine konservative Mehrheit zu sichern. Trump nannte die Bestimmung ihres Nachfolgers eine „Verpflichtung ohne Aufschub“. Daher werde er „sehr bald“ eine Wahl treffen, wobei es sich „höchstwahrscheinlich“ um eine Frau handeln werde.
Gemäß der US-Verfassung bestimmt der Präsident die Richter des Obersten Gerichtshofs und der Senat muss dem Vorschlag zustimmen. Dort haben die Republikaner derzeit 53 und die Demokraten 47 Sitze. Eine Abstimmung so kurz vor der Präsidentschaftswahl wäre höchst ungewöhnlich, denn die Richter werden auf Lebenszeit ernannt und ihre politische Ausrichtung beeinflusst die Rechtsprechung in den USA auf Jahrzehnte.
2016 hatte sich Mehrheitsführer McConnell zehn Monate vor der Präsidentschaftswahl geweigert, den vom damaligen demokratischen Präsidenten Barack Obama vorgeschlagenen Nachfolger für einen gestorbenen konservativen Richter zur Abstimmung zu stellen. Nun sind es gerade einmal noch sechs Wochen bis zur Wahl.
Die Republikaner dürften jetzt keine andere Linie in dem Nachfolge-Streit vertreten, „nur weil es ihren Interessen dient“, sagte Biden in Philadelphia. Da er „nicht naiv“ sei, appelliere er in dieser Frage nicht an Trump oder an McConnell, sondern „an die Handvoll republikanischer Senatoren“, die „im Grunde ihres Herzens wissen, was gut für ihr Land ist“. Diese sollten „ihrem Gewissen folgen“.
Am Sonntag sprach sich eine zweite republikanische Senatorin gegen eine Personalentscheidung für das Oberste Gericht vor der Präsidentschaftswahl aus. Lisa Murkowski aus dem Bundesstaat Alaska erklärte, sie lehne eine Abstimmung „so kurz“ vor der Wahl ab. Am Samstag hatte dies bereits die republikanische Senatorin Susan Collins aus dem Bundesstaat Maine öffentlich abgelehnt. Sollten noch zwei weitere Republikaner im Senat diese Haltung vertreten, könnte das von Trump gewünschte frühe Votum abgeschmettert werden.