Comeback mit Pop-Up-Konzerten

Symbolbild: Konzert
Symbolbild: Konzert

Die Herbstspielzeit ist wegen der Corona-Pandemie abgesagt, der Konzertsaal auf unbestimmte Zeit geschlossen, und die New Yorker Philharmoniker sitzen auf der Straße – allerdings freiwillig: Als eine der ältesten musikalischen Institutionen der USA gibt das berühmte Symphonieorchester nun Pop-Up-Konzerte im Freien – zur Freude der nach Live-Musik hungernden New Yorker.

Jedes Wochenende treten kleine Ensembles in T-Shirts und mit Maske unangemeldet an ungewöhnlichen Orten in der ganzen Stadt auf – begleitet von einem Pickup-Truck mit der Aufschrift „Bandwagon“, der auch als improvisierte Bühne dient. 

Manchmal stehen die Musiker im Regen, manchmal laufen Passanten achtlos einfach vorüber – doch dann hupt plötzlich ein Lieferwagen in der Nähe im Takt mit. In solchen Momenten, sagt Opernsänger und Organisator Anthony Roth Costanzo, „fühlt es sich an, als wäre die Stadt unser Orchester und wir die Solisten“.

Nach einem Auftritt im Betty-Carter-Park, einer kleinen, grünen Oase in Brooklyn, wird der Kontratenor fast philosophisch: „In Zeiten der Pandemie, in Zeiten des sozialen Wandels erkunden wir zusammen neue Wege, um Menschen zusammenzubringen“, sagt er. 

Es gehe darum, „das Ritual des Ins-Konzert-Gehen neu zu erfinden“. Es gehe nicht mehr darum, „die Leute in unser Haus zu bringen“, führt er aus. „Vielmehr versuchen wir, alles zu vermeiden, was Menschen manchmal dazu bringt, nicht ins Konzert zu gehen“.

So bezaubern an einem lauen Freitagabend Roth Costanzo, Quan Ge an der Violine und Cong Wu an der Bratsche in der kleinen Oase über der Subway Dutzende Zuhörer, beginnen mit Mozarts Allegro in G-Dur, präsentieren ein Streicherarrangement von Alicia Keys‘ „Empire State of Mind“ und schließen mit dem New Yorker Klassiker „Somewhere“ aus der „West Side Story.“

Anders als bei traditionellen Klassikkonzerten ermuntern die Philharmoniker hier zum Tanzen, Applaudieren und zur Interaktion zwischen den einzelnen Stücken. Roth Costanzo wendet sich nach jedem Titel von der improvisierten Bühne auf dem „Bandwagon“ an seine Zuhörer.

Autofahrer treten auf die Bremse und öffnen ihre Fenster, Passanten filmen die Musiker mit ihren Handys. „Ich liebe Euch“, ruft eine Frau namens Lorri, der Roth Costanzos Interpretation des düsteren „Lachrimae Pavane“ (Flow My Tears) aus elisabethanischer Zeit Tränen in die Augen treibt. „Es hat mich berührt“, sagt sie danach. Und: Das Überraschungskonzert habe „der Himmel geschickt“.

Wie viele andere Musiker stellte das älteste Philharmonieorchester der USA seine Konzerte zunächst ins Internet, als das Lincoln Center in Manhattan wegen der Ausbreitung des Coronavirus seine Türen schließen musste. Zwar hätten diese virtuellen Konzerte eine Übergangslösung geboten, doch seien sie einfach „nicht dasselbe“ wie Konzerte vor Publikum, sagt Bratschist Cong. „Bei Musik geht es um Kommunikation, wir brauchen die Bühne.“ 

Deshalb tue es gut, draußen zu spielen, sagt er. Es sei „schön, die Energie der Leute zu spüren – wir spielen, teilen mit ihnen die Energie der Musik und bekommen Energie vom Publikum zurück.“

Um große Menschenansammlungen zu vermeiden, geben die Philharmoniker Zeit und Ort der Konzerte nicht öffentlich bekannt. Bis mindestens Mitte Oktober sind freitags, samstags und sonntags je drei Auftritte geplant, dabei wollen sie alle fünf Stadtbezirke abdecken.

Nach dem Minikonzert am Freitagabend im Betty-Carter-Park beschreibt Roth Costanzo seine großen Befriedigung, wieder live aufzutreten: „Es gab einen Moment am Ende, als die Violinen aufhörten zu spielen und diese perfekte Stille herrschte, eine Stille wie in einem Konzertsaal“, schwärmt er. „Da spürte ich, wie die Menschen eine Verbindung zueinander aufbauten. Und das ist gerade jetzt in unserer Welt so wichtig.“

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