Die Flucht vor dem Flammeninferno in Griechenlands größtem Flüchtlingslager Moria ist den fast 13.000 ehemaligen Insassen gelungen. Doch Tage nach der Brandkatastrophe fühlen sich die Menschen auf der griechischen Insel Lesbos von Europa im Stich gelassen. Viele Migranten sind weiterhin rund um die abgebrannte Unterkunft anzutreffen. Alles was sie vor den Flammen retten konnten, schleppen sie jetzt auf dem Rücken.
Auf einer Straße, die von Moria zum kleinen Hafen von Panagiouda führt, muss Fatma Al-Hani ihr zweijähriges Kind unter der prallen Sonne in den Armen tragen. „Wir haben alles verloren. Wir sind auf uns allein gestellt, ohne Nahrung, Wasser oder Medizin“, sagt sie. Die aus Ost-Syrien stammende Frau hatte es gerade noch geschafft, ihre Ausweispapiere vor dem Feuer zu retten, das in der Nacht zu Mittwoch ausbrach und das Lager vollständig zerstörte.
Große Sorgen macht ihr nun der Gesundheitszustand ihres jüngsten Sohnes. Er leide seit Donnerstagmorgen an Fieber und Erbrechen. „Das ist also Europa? Ich ertrage das nicht mehr, ich will nur, dass es meinem Baby gut geht, dass es in Frieden aufwächst“, sagt die zweifache Mutter und bricht in Tränen aus.
Die Behörden richteten nach der Zerstörung des Lagers auf der Insel Lesbos eine Pufferzone ein, um die Asylsuchenden daran zu hindern, den Hafen von Mytilene zu erreichen. Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und andere Freiwillige gibt es auf Lesbos nur wenige, ihre Arbeit wird durch die gesperrten Straßen zusätzlich erschwert.
Auch die 21-jährige schwangere Kongolesin Gaëlle Koukanée ist angesichts der mangelnden Hilfe verzweifelt. „Gestern schossen Polizisten mit Tränengas. Unter uns sind Kinder, ältere Menschen, Behinderte. Warum dieser Mangel an Menschlichkeit?“, fragt sie.
Das Leben in dem berüchtigten Lager Moria sei schon vor der Brandkatastrophe schwer gewesen: Toiletten und Duschen hätten gefehlt. Die Frauen hätten Angst gehabt, nachts alleine herumzulaufen. „Doch jetzt mache ich mir noch mehr Sorgen als zuvor um meine Zukunft“, sagt Koukanée. Bevor die junge Kongolesin vor knapp einem Jahr Lesbos erreichte, träumte sie davon, ihr Literaturstudium fortzusetzen und sich ein neues Leben aufzubauen.
Ihre Freundin Clarisse, die sich mit Koukanée einen Container in dem Flüchtlingslager teilte, fügt hinzu: „Alles brannte. Wir haben nichts mehr übrig, und den Behörden scheint es egal zu sein, was aus uns wird.“ Ihre jüngste Tochter sei am Vortag ohnmächtig geworden, nachdem sie drei Tage nichts gegessen habe: „Die Polizei will nicht einmal, dass wir in den Supermarkt gehen, um Lebensmittel einzukaufen.“
Die griechischen Behörden entsandten am Donnerstag eine Fähre, um die gesundheitlich besonders gefährdeten Migranten von der Insel aufzunehmen. Wer nicht auf das Schiff kam, lebt auf den Feldern um das abgebrannte Flüchtlingslager oder auf den asphaltierten Straßen, die in die Hafenstadt Mytilene führen.
Der Syrer Anwar Bayou blickt wehmütig auf das in Schutt und Asche liegende Lager. „In diesem Container habe ich mit meinen beiden Töchtern und ihren Kindern gelebt. Es ist nichts mehr da“, sagt Bayou mit trübem Blick. Der über 70-Jährige stützt sich auf einen Gehstock, da er sich nur schwer bewegen kann. Bayou schaut auf die Landschaft und sagt, hier sehe es aus, „wie das Ende der Welt“.