Der deutsche EU-Vorsitz hat vor Verzögerungen beim Start des Wiederaufbaufonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise gewarnt. Ohne rasche Einigung mit dem Europaparlament auf den nächsten Mehrjahreshaushalt der EU „laufen wir Gefahr, auch den Wiederaufbaufonds zu verzögern“, erklärte der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß am Freitag. „Die Zeit drängt.“ Europa stehe „im Wort, die von der Corona-Krise besonders betroffenen Menschen und Regionen so schnell wie irgend möglich zu unterstützen“.
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich im Juli nach tagelangen Verhandlungen auf ein Finanzpaket aus Haushalt und Corona-Wiederaufbauplan von 1,8 Billionen Euro verständigt. Das EU-Parlament muss formell nur dem 1074 Milliarden Euro schweren EU-Haushalt für die Zeit von 2021 bis 2027 zustimmen. Dieser ist aber eng mit dem 750 Milliarden Euro umfassenden Corona-Hilfsfonds verknüpft.
Das EU-Parlament fordert mehrere Änderungen an dem Haushaltskompromiss und Erhöhungen bei mehreren Posten. Die Mitgliedstaaten wollen aber keinesfalls das Gesamtvolumen von 1074 Milliarden Euro erhöhen und sind allenfalls zu Umschichtungen bereit.
Hinzu kommt Streit darum, unter welchen Bedingungen EU-Gelder künftig bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden können. Hier stehen Polen und Ungarn seit Jahren in der EU am Pranger. Gegen beide Länder läuft ein Strafverfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag. Es kann bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen, die Mitgliedstaaten schreckten aber bisher vor einem solch weitreichenden Beschluss zurück.
Die Verhandlungen über die Frage bei den Mitgliedstaaten seien „äußerst kompliziert“, erklärte Clauß. Es sei aber bereits klar, „dass der Rechtsstaatsmechanismus im EU-Haushalt kein Artikel 7-Verfahren mit anderen Mitteln sein kann“. Es könne nur darum gehen, „Rechtsstaatsverstöße bei der Verwendung der Haushaltsmittel zu ahnden“.
Dies könnte bedeuten, dass etwa Fälle von Korruption bei der Verwendung von Haushaltsmitteln durch die Streichung von EU-Geldern bestraft werden. Einschränkungen der Unabhängigkeit der Justiz oder der Medienfreiheit könnten damit aber wohl kaum zur Kürzung von EU-Geldern führen.
Um die Konflikte zu lösen, forderte der deutsche EU-Botschafter das Parlament auf, „die Verhandlungsfrequenz deutlich (zu) erhöhen. Wir haben dem Europäischen Parlament angeboten, auch die Wochenenden durchzuverhandeln“, erklärte er.
Clauß hatte ursprünglich eine Einigung bis Ende September angestrebt. Das Parlament hat sich dagegen eine Frist bis Ende Oktober gesetzt. Aufgrund teils langwieriger nationaler Ratifizierungsverfahren wird dies auf Seiten der Mitgliedstaaten als äußerst knapp angesehen, um sicherzustellen, dass die Corona-Gelder ab Anfang kommenden Jahres fließen können.