Fünf Jahre nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ beginnt der Prozess

Symbolbild: Wir sind Charlie
Symbolbild: Wir sind Charlie

Je suis Charlie“ – „Ich bin Charlie“: Dieses Schlagwort ging nach dem Anschlag auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 um die Welt. Gut fünf Jahre später beginnt am Mittwoch in Paris der Prozess gegen 14 mutmaßliche Komplizen der Attentäter sowie Hintermänner. Es ist das bisher größte Verfahren wegen der islamistischen Anschlagsserie mit insgesamt 258 Todesopfern in Frankreich.

Wegen seiner historischen Bedeutung wird der gesamte Prozess gefilmt. Die Pariser Anti-Terror-Staatsanwaltschaft hat die Verhandlungen bis zum 10. November angesetzt. Ursprünglich sollten sie bereits im Mai beginnen, doch die Corona-Krise und die Ausgangsbeschränkungen kamen dazwischen.

Vor dem Pariser Schwurgericht werden 14 Männer angeklagt. Sie sollen die Brüder Chérif und Saïd Kouachi unterstützt haben, die am 7. Januar 2015 die Redaktionsräume von „Charlie Hebdo“ stürmten und kaltblütig zwölf Menschen töteten, darunter einige der bekanntesten Zeichner Frankreichs. Die Kouachi-Brüder selbst wurden nach einer zweitägigen Verfolgungsjagd durch Elitepolizisten aufgespürt und getötet.

Zudem sollen die Verdächtigen dem mit den Brüdern befreundeten Islamisten Amédy Coulibaly geholfen haben. Er tötete am 8. und 9. Januar 2015 eine Polizistin in einem Pariser Vorort und vier weitere Menschen bei der Geiselnahme in dem vor allem von Juden frequentierten Supermarkt „Hyper Cacher“. Coulibaly wurde erschossen, als die Polizei das Geschäft stürmte. 

Drei der 14 Angeklagten können nicht vor Gericht gestellt werden: Sie kamen nach Einschätzung von Geheimdiensten vermutlich in Syrien oder im Irak ums Leben, werden aber weiter mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Rund 200 Menschen haben sich als Zivilkläger dem Strafverfahren angeschlossen. Darunter sind Überlebende und Angehörige der insgesamt 17 Anschlags-Opfer. „Dieser Prozess ist ein wichtiger Schritt für sie“, sagen die Anwältinnen der Opfer von „Charlie Hebdo“, Marie-Laure Barré und Nathalie Senyk. „Sie erwarten, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt.“

Ganz Frankreich erhofft sich von dem Prozess Aufklärung über die Hintergründe der grausamen Anschläge, hinter denen das Extremistennetzwerk Al-Kaida im Jemen und die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) stecken sollen.

Als Hauptangeklagter soll Ali Riza Polat vor dem Schwurgericht erscheinen, ein französischer Staatsbürger türkischer Herkunft. Dem 35-Jährigen droht eine lebenslange Haftstrafe. Er soll laut Anklage „auf allen Ebenen“ eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung der Attentate gespielt und Waffen beschafft haben. Er wurde im März 2015 nach mehreren gescheiterten Fluchtversuchen nach Syrien verhaftet.

Ebenfalls lebenslänglich droht dem vermutlich getöteten Mohamed Belhoucine, das Urteil gegen ihn hat deshalb vor allem symbolische Bedeutung. Er soll für die Radikalisierung Coulibalys verantwortlich sein, den er im Gefängnis kennenlernte. 

Belhoucine soll ihm Kontakte zur IS-Miliz ermöglicht und seinen Treueschwur zu den Extremisten verfasst haben. Die meisten anderen Angeklagten stehen wegen „Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe“ vor Gericht, ihnen drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Dem oft bitterbösen Humor von „Charlie Hebdo“ hat der Anschlag nichts anhaben können – auch wenn sich die Satirezeitung im 50. Jahr ihres Bestehens mehr mit der Pandemie befasst als mit der islamistischen Gefahr. „Die Zeitung ist immer noch da“, schrieb jüngst Redaktionsleiter Riss, der den Angriff schwer verletzt überlebte. „Wer dachte, das Massaker habe sie demütiger und diskreter gemacht, hat sich getäuscht.“

Mit dem Prozess geht „Charlie Hebdo“ auf ganz eigene Art um: Der Zeichner François Boucq und der Autor Yannick Haenel sollen ihn für das Blatt verfolgen. Die beiden regelmäßigen Mitarbeiter hätten den Anschlag nicht miterlebt und könnten deshalb Dinge zeigen, „die wir nicht unbedingt sehen“, betont Chefredakteur Gérard Biard.

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