Sechs Jahre nach der mutmaßlichen Ermordung von 43 Studenten hat die mexikanische Justiz Haftbefehle gegen Soldaten ausgestellt, die am Verschwinden der jungen Leute beteiligt gewesen sein sollen. Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador gab die richterliche Anordnung zur Verhaftung der Militärangehörigen am Samstag (Ortszeit) bei der Vorstellung eines Berichts zum Stand der Ermittlungen bekannt. Daran nahmen auch Eltern der Studenten teil, die schon seit Jahren eine Verwicklung von Soldaten in den Fall vermuten.
Die 43 Studenten eines linksgerichteten Lehrerseminars im südmexikanischen Ayotzinapa waren vor genau sechs Jahren, in der Nacht zum 27. September 2014, nahe der Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero verschwunden, als sie auf dem Weg zu einer Demonstration in der Hauptstadt Mexiko-Stadt waren.
Nach Auffassung der mexikanischen Justiz wurde die Gruppe von korrupten Polizisten verschleppt und an die Drogenbande Guerreros Unidos ausgeliefert. Bandenmitglieder sollen die Staudenten für Angehörige eines verfeindeten Kartells gehalten, auf einer Müllkippe ermordet und die Leichen verbrannt haben.
Die Familien der Studenten und unabhängige Experten der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte zweifelten die offiziellen Ermittlungsergebnisse an. Die Regierung des damaligen Präsidenten Enrique Peña Nieto wurde wegen der schleppenden Aufarbeitung des Falls international kritisiert. Unter anderem weigerte sich der konservative Staatschef, Militärvertreter verhören zu lassen oder als Zeugen vorzuladen.
Die Kontroversen um den Fall veranlassten seinen Nachfolger López Obrador zur Gründung einer Wahrheitskommission, die bei den Ermittlungen wieder „bei Null anfangen“ sollte. Nach Angaben von Regierungsvertretern wurden seit März knapp drei Dutzend Menschen wegen mutmaßlicher Verwicklung in den Fall festgenommen.
Der Präsident der Wahrheitskommission, Alejandro Encinas, sagte am Samstag, das Verteidigungsministerium habe nun Informationen über eine vor sechs Jahren in der Region stationierte Militäreinheit vorgelegt. López Obrador betonte, niemand werde ungestraft davonkommen: „Diejenigen, die nachweislich (am Verschwinden der Studenten) beteiligt waren, werden zur Rechenschaft gezogen“. Was den mit Haftbefehl gesuchten Militärs genau vorgeworfen wird, ließ er offen.
Die Angehörigen der Studenten zeigten sich enttäuscht. „Wann werden sie die Soldaten verhaften?“, fragte eine Sprecherin der Opfer-Familien, María Martínez Zeferino. „Wir hatten uns heute etwas anderes erhofft. Es ist sechs Jahre her, und wir haben nichts.“
Die Familien hoffen, dass wenigstens einige der Vermissten noch am Leben sind und drängen deshalb zur Eile bei der Aufarbeitung des Falls. Am Nachmittag nahmen rund 5000 Menschen unter Führung der Opfer-Familien an einem Protestmarsch in Mexiko-Stadt teil. Dabei riefen sie: „Sie haben sie lebend ergriffen, wir wollen sie lebend zurück“ und „Gerechtigkeit“.
Eine Gruppe Demonstranten am Ende des Protestzugs warf Scheiben und Schaufenster ein und lieferte sich gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mindestens ein Beamter wurde dabei verletzt.