Großbritanniens Premierminister Boris Johnson hat im Unterhaus grünes Licht für sein umstrittenes Binnenmarktgesetz erhalten. 340 Abgeordnete stimmten am Dienstagabend in London in dritter Lesung für den Gesetzesentwurf, 256 votierten dagegen. Teile des Textes würden es Großbritannien ermöglichen, eigenmächtig den mit der EU geschlossenen Vertrag über seinen Austritt aus der Gemeinschaft zu ändern. In Brüssel stößt das auf vehementen Widerstand.
Großbritannien war mit dem Brexit-Vertrag zum 1. Februar aus der EU ausgetreten. Das Abkommen sieht neben einer Übergangsphase zur Neuregelung der Beziehungen zwischen London und Brüssel insbesondere Regelungen für die heikle Nordirland-Frage vor. Schlüsselpassagen dieses Nordirland-Protokolls will Johnson mit dem Binnenmarktgesetz aushebeln.
Das vom Unterhaus beschlossene Gesetz geht nun ins Oberhaus, das House of Lords. Dort ist der Widerstand dagegen groß, nachdem Johnsons Regierung freimütig eingeräumt hatte, dass die einseitige Änderung des Brexit-Vertrages internationales Recht bricht. Die Lords können ein Inkrafttreten des Gesetzes letztlich aber nicht verhindern.
Im House of Commons hatte es zu dem Vorhaben ebenfalls viele kritische Stimmen gegeben, auch aus Johnsons eigenen Reihen. Der Premier sicherte sich schließlich eine Mehrheit, indem er den Parlamentariern das letzte Wort bei der praktischen Anwendung der kritischen Passagen des Gesetzes zugestand. Demnach könnte eine Mehrheit im Unterhaus, nicht aber die Regierung die Änderungen des Abkommens mit der EU veranlassen.
Für Brüssel ist allerdings bereits die theoretische Möglichkeit einseitiger Vertragsänderungen ein rotes Tuch. Die EU fordert eine Rücknahme der umstrittenen Teile des Binnenmarktgesetzes und setzte eine Frist bis zu diesem Mittwoch. Andernfalls werde sie rechtliche Schritte einleiten.
Möglich in dem Fall ist eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof oder die Anrufung des Streitschlichtungsgremiums des Austrittsvertrages. Bekommt die EU dort Recht, könnten Strafgelder gegen Großbritannien verhängt werden.
Der Streit belastet auch die laufenden Verhandlungen über die künftigen Beziehungen und ein Handelsabkommen mit Großbritannien. Die neunte und vorerst letzte geplante Verhandlungsrunde dazu begann am Dienstag und soll bis Donnerstag gehen. Die Gespräche kommen seit Monaten nicht voran. EU-Diplomaten erwarteten auch diese Woche keinen Durchbruch.