Neue Spuren im Fall „NSU 2.0“ führen nach Hamburg und Berlin

Symbolbild: Polizei-Streifenfahrzeuge
Symbolbild: Polizei-Streifenfahrzeuge

Im Fall der rechtsextremen Drohschreiben mit dem Absender „NSU 2.0“ verfolgen die hessischen Sonderermittler einem Medienbericht zufolge neue Spuren in Hamburg und Berlin. Wie der Westdeutsche Rundfunk und die „Süddeutsche Zeitung“ am Montag berichteten, haben sie in den beiden Städten insgesamt vier Polizeibeamten als mögliche Verdächtige im Blick. Alle vier seien bereits vernommen worden, dürften jedoch weiter zum Dienst erscheinen.

In Hamburg soll es sich um eine Beamtin des Reviers Hamburg-Mitte sowie einen Beamten des Reviers Hamburg-Neugraben handeln. Sie sollen unabhängig voneinander private Daten der „taz“-Autorin Hengameh Yaghoobifarah in Polizeicomputern abgerufen haben, kurz bevor Yaghoobifarah anonyme Drohungen erhielt.

Die Beamten gaben dem Bericht zufolge an, die Daten aus Neugier beziehungsweise aus Wut über eine Kolumne in der „taz“ im Polizeicomputer abgefragt zu haben. Aus Sicht der Sonderermittler gibt es demnach aber bislang keine Belege dafür, dass sie die Daten nutzten oder weitergaben.

In Berlin konzentriert sich der Verdacht dem Bericht zufolge auf zwei Beamte in den Stadtteilen Neukölln und Spandau. Sie sollen in der polizeilichen Datenbank Poliks die privaten Daten der Berliner Kabarettistin Idil Baydar abgefragt haben, die wenig später ebenfalls vom „NSU 2.0“ bedroht wurde – unter Verwendung ebensolcher Daten, die vor der Öffentlichkeit geschützt sind.

In Berlin fiel den Ermittlern dem Bericht zufolge besonders das Datum der Abfrage auf. Am 5. März 2019 war Baydar demnach in Berlin und gleichzeitig auch in Wiesbaden an einem Polizeicomputer ausgeforscht worden. Andererseits seien an den Polizeicomputern in Berlin offenbar nur wenige Daten über sie abgerufen worden – und nicht jene Details über Familienmitglieder, die bald darauf in Drohschreiben an Baydar auftauchten.

Der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, nannte es „nicht länger hinnehmbar“, dass Zugriffe auf Polizeidatenbanken nicht protokolliert würden. „Neugier und Wut rechtfertigen solche Zugriffe nicht.“ Er forderte, die polizeiinternen Regeln auf den Prüfstand zu stellen.

Bereits seit August 2018 hatten Unbekannte unter dem Pseudonym „NSU 2.0“ Drohschreiben verschickt. Das Kürzel erinnert an die Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Immer wieder weisen Spuren zur Polizei selbst. Die bundesweiten Ermittlungen führt eine Gruppe von Sonderermittlern von Wiesbaden aus. Zeitweise gehörten der Gruppe etwa 60 Beamte.

Unterdessen berichtete der „Tagesspiegel“, dass die Berliner Staatsanwaltschaft im Fall der umstrittenen Polizeikolumne von Yaghoobifarah voraussichtlich keine Ermittlungen einleiten will. Nach Informationen der Berliner Tageszeitung besteht kein Anfangsverdacht, weder auf Beleidigung noch auf Volksverhetzung. Bisher habe die Staatsanwaltschaft eine Vorprüfung des Falls vorgenommen.

In der Kolumne aus dem Juni war es in Verbindung mit Rassismusvorwürfen um eine mögliche Abschaffung der Polizei gegangen. Dabei hatte Yaghoobifarah auch geschrieben, am Ende seien bisherige Polizeibeamte dann am besten auf einer „Mülldeponie“ als Arbeitsplatz aufgehoben. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) drohte daraufhin, wegen der Kolumne Anzeige zu erstatten. Nach breiter Kritik verzichtete er darauf.

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