Zehntausende mit Beton ummantelte Rohrstücke liegen bereits auf dem Boden der Ostsee, jedes einzelne gut 24 Tonnen schwer. Miteinander verschweißt bilden sie die beiden Stränge der Pipeline Nord Stream 2, die über eine Länge von rund 1230 Kilometern in weitaus größerem Umfang als bislang russische Erdgaslieferungen direkt nach Deutschland ermöglichen soll. Die Route verläuft in weiten Teilen parallel zur bereits bestehenden Pipeline Nord Stream.
Startpunkt ist die russischen Ostseeküste westlich von St. Petersburg, Ziel ist Lubmin unweit von Greifswald. Fertig ist die gewaltige Doppelröhre, die aus zwei Leitungen mit einem Durchmesser von jeweils gut 1,20 Metern besteht, noch nicht. Zwar ist von Spezialschiffen bereits ein Großteil der insgesamt rund 200.000 Rohrstücke in einer Tiefe von bis zu 210 Metern auf dem Grund der Ostsee verlegt worden. Doch der Widerstand aus den USA verzögerte bislang die Fertigstellung.
Washington verhängte Ende 2019 Sanktionen, um die Fertigstellung der Pipeline zu verhindern. Mitte Juli drohte die US-Regierung weitere Sanktionen an. Die USA argumentieren, Deutschland und Europa würden sich in eine Energie-Abhängigkeit von Moskau begeben. Kritiker werfen den USA vor, lediglich eigenes Flüssiggas zu möglichst hohen Preisen exportieren zu wollen.
Kritisch wird die Pipeline auch in Osteuropa gesehen. Der Bau einer zusätzlichen direkten Gasleitung von Russland nach Deutschland schwächt die Position traditioneller Transitländer – das betrifft zum einen das ukrainische Leitungsnetz, zum anderen die quer durch Weißrussland und Polen verlaufende Jamal-Europa-Pipeline. Die Transitgebühren sind für die Länder ein wichtiger Einnahmefaktor, darüber hinaus macht die Verfügbarkeit alternativer Routen sie entbehrlicher und womöglich zum Ziel politischer Erpressungen.
Auf übergeordneter Ebene spielt außerdem die Sorge Europas vor einer zu großen Abhängigkeit von russischem Erdgas eine Rolle. Derzeit deckt das Land fast ein Drittel des EU-Bedarfs. Die EU will ihre Abhängigkeit reduzieren. Dem könnte Nord Stream 2 aber zuwiderlaufen, auch die EU-Kommission ist daher gegen den Bau.
Wegen des Giftanschlags auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny wird nun in Deutschland diskutiert, ob die Pipeline gestoppt werden sollte. Unter anderem fordert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), das Projekt auf Eis zu legen. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans warnt dagegen, ein Baustopp könne die Falschen treffen.
Nord Stream 2 soll den Planungen zufolge einmal eine jährliche Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern erreichen. Das ist ebenso viel wie die Kapazität der 2011 eingeweihten ersten Nord-Stream-Pipeline und nach Unternehmensangaben genug, um 26 Millionen Haushalte zu versorgen.