Die Verteilung von Flüchtlingen in der EU ist aus Sicht des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz gescheitert. „Das lehnen so viele Staaten ab. Das wird auch nicht funktionieren“, sagte Kurz am Dienstag im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP – einen Tag, bevor die EU-Kommission in Brüssel neue Vorschläge für die seit Jahren umstrittene Asylreform vorstellen will.
Er finde es „gut, wenn sich die Europäische Kommission dem Thema Asyl und Migration“ widme, sagte Kurz. Das Thema könne nur „gesamteuropäisch gelöst werden“. Die Verwendung von Begriffen wie „Solidarität“ in der Migrationsdebatte lehnte Kurz aber ab. „Europa sollte aus dem Jahr 2015 gelernt haben. Und einfach gemeinsam illegale Migration bekämpfen“, sagte der Kanzler.
Der Politiker von der konservativen ÖVP forderte einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen und einen effektiveren Kampf gegen Schlepper, „aber auch mehr gemeinsame Hilfe vor Ort“.
Sein Land habe in der Flüchtlingspolitik einen „unglaublich großen Beitrag geleistet“, sagte Kurz weiter. Oft würden vor allem die EU-Mitgliedstaaten an den Außengrenzen in den Blick genommen, wenn es um Flüchtlinge und Migranten gehe. Tatsächlich sei Österreich aber nach Schweden und Deutschland das „drittbetroffenste Land“ in der EU, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen gehe. In den vergangenen fünf Jahren seien 200.000 Menschen in Österreich aufgenommen worden.
Kurz betonte, dass auch kleinere Staaten in der EU die Möglichkeit haben müssten, ihre Interessen einzubringen. „Die Europäische Union ist mehr als nur Deutschland und Frankreich“, betonte er. Dies sei auch gut so. Als die beiden größten EU-Staaten hätten Deutschland und Frankreich „natürlich einen gewissen Führungsanspruch“. Andere Staaten hätten jedoch „genauso die Möglichkeit, ihre Ideen einzubringen und dafür Mehrheiten zu suchen“.
Als Beispiel nannte Kurz die Gruppe der sogenannten Frugalen oder Sparsamen Vier, in der Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark kooperieren. In der Debatte um den Corona-Wiederaufbauplan der EU hatten die vier Staaten eine Reduzierung der geplanten Zuschüsse für schwer von der Krise betroffene Länder erwirkt.
Mit Blick auf die derzeitigen Spannungen zwischen der EU und der Türkei plädierte Kurz für eine eindeutige Haltung der EU-Mitgliedstaaten. Die EU dürfe nicht nur dann schnell reagieren, „wenn es um Belarus geht oder um andere Länder in der östlichen Nachbarschaft, sondern auch, wenn es um ein klares Ziehen von roten Linien gegenüber der Türkei geht“, sagte Kurz mit Blick auf die aktuellen Sanktionsdebatten in der EU.
„Absolut problematisch“ sei, dass es im Gasstreit mit der Türkei „nicht genug Solidarität mit Zypern und Griechenland gebe“, kritisierte Kurz. Lobend erwähnte der Kanzler den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der in dem Konflikt „eine klare Haltung“ gegenüber Ankara vertrete.
Eine bessere Abstimmung in der EU wünsche er sich zudem bei Fragen zur Reisefreiheit in der Corona-Krise, sagte Kurz weiter. Auch im Umgang mit Reisebeschränkungen zu Drittstaaten und mit Reisewarnungen wäre „noch mehr Abstimmung auf europäischer Ebene gut“.