Taschentücher, Tomatenmark und West-Jeans: Wie sich Merkel an die DDR erinnert

Besuch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rathaus Köln - Bild: © Raimond Spekking/CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
Besuch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rathaus Köln - Bild: © Raimond Spekking/CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Der 3. Oktober 1990 markierte das Ende der DDR – und den Anfang der politischen Karriere von Angela Merkel (CDU). Merkel hat ihre DDR-Herkunft nie an die große Glocke gehängt. Aber ihre Herkunft hat Prägungen hinterlassen, die auch 30 Jahre nach dem Vollzug der deutschen Einheit nachwirken. Die Kanzlerin selbst weist immer wieder darauf hin – in Anekdoten über den Alltag in der DDR, in jüngster Zeit auch in Zusammenhang mit der Corona-Krise. 

Merkels Rede kürzlich vor dem Europaparlament war eine der wenigen Gelegenheiten, in der sie ihre heutige Politik mit ihren Erfahrungen aus der DDR in Verbindung setzte. In der DDR habe sie 35 Jahre in einem „System der Unfreiheit“ gelebt, sagte sie. Ihr Fazit: „Eine Pandemie darf nie Vorwand sein, um demokratische Prinzipien auszuhebeln.“

Immer wieder griff Merkel in den vergangenen Monaten zu der Wendung, dass die pandemiebedingten Einschränkungen eine „Zumutung für die Demokratie“ seien. Merkels Wertschätzung für die Demokratie, das macht sie immer wieder klar, ist durch ihre Erfahrungen in der DDR geprägt. „Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl begrenzten meinen Zugang zu freien Welt“ – auf diesen Nenner brachte Merkel ihre DDR-Erfahrung vor einigen Jahren in einer Rede vor dem US-Kongress.

Vor dem Fall der Mauer habe sie „einfach kein Lebensgefühl für die Freiheit“ gehabt, sagte Merkel vergangenes Jahr der „Süddeutschen“. Freiheit müsse „eingeübt werden“, sagte sie. „Das Leben in der DDR war manchmal auf eine bestimmte Art fast bequem, weil man manche Dinge einfach gar nicht beeinflussen konnte.“

Merkel und die DDR verbindet ein kompliziertes Verhältnis. Sie vermied es stets, als Interessenwalterin oder Sprachrohr der Ostdeutschen aufzutreten. Dass die Bundesrepublik von einer Frau regiert wird, die in einem komplett anderen politischen System aufgewachsen ist, gerät manchmal fast in Vergessenheit.

Ihre Erinnerung an das Leben in der DDR lässt Merkel allerdings regelmäßig in anekdotischen Schilderungen durchscheinen. „Schnell gucken, ob es noch Tempotaschentücher gibt, und gleich zugreifen“, sei damals an der Tagesordnung gewesen, berichtete sie vor einigen Jahren über das Leben im Osten. „Oder Tomatenmark hamstern.“ 

Bei einem Besuch in den USA erzählte sie, wie sie sich als Teenager begeistert habe „für Jeans einer bestimmten Marke, die es in der DDR nicht gab und die mir meine Tante aus dem Westen regelmäßig schickte“.

Die 1954 in Hamburg geborene Tochter eines evangelischen Theologen siedelte wenige Wochen nach der Geburt mit ihrer Familie ins heutige Brandenburg über, wo sie später als Physikerin arbeitete. Weggefährten bescheinigen ihr, dass sie alles andere als eine überzeugte Sozialisten war. Doch immerhin trat sie der DDR-Jugendorganisation FDJ bei.

„Ich war keine Heldin, ich habe mich angepasst“, beschrieb die heutige Kanzlerin später ihre Rolle in der DDR. Auf jeden Fall hat ihr dortiges Leben seine Spuren hinterlassen: „Mir scheint bei Angela Merkel die Prägung durch die DDR stärker zu sein als die durch das Pfarrhaus“, berichtete einst der Schriftsteller Bernhard Schlink, der die Familie kannte.

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