Mit harten Einschnitten für die Bürger und viele Unternehmen will die Bundesregierung die rasant steigenden Corona-Infektionszahlen unter Kontrolle bringen. Die Menschen sollten ihre privaten Kontakte auf ein „absolut nötiges Minimum“ reduzieren, heißt es in einer Beschlussvorlage des Bundes für die am Mittwochnachmittag gestarteten Beratungen mit den Ländern, die der Nachrichtenagentur AFP vorliegt. Von der Oper bis zur Bar sollen zahlreiche Betriebe und Einrichtungen wochenlang schließen.
Der Aufenthalt in der Öffentlichkeit soll nur noch „mit den Angehörigen des eigenen und eines weiteren Hausstandes gestattet“ sein, heißt es in der Beschlussvorlage. Die Bürger sollen demnach auch aufgefordert werden, generell auf private Reisen und Besuche zu verzichten. Touristische Übernachtungen im Inland sollen unterbunden werden.
Freizeiteinrichtungen wie Theater, Opern, Kinos, Schwimmbäder und Fitnessstudios sollen dem Papier zufolge geschlossen werden, ebenso Bars, Klubs, Diskotheken und Kneipen. Ausgenommen werde die „Lieferung und Abholung mitnahmefähiger Speisen für den Verzehr zu Hause.“ Auch Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoostudios und Bordelle müssen schließen. Einzelhandel, Schulen und Kitas bleiben offen.
Alle vorgeschlagenen Maßnahmen sollen am 4. November in Kraft treten und bis Ende November gelten, also rund vier Wochen lang. Nach zwei Wochen sollen Bund und Länder erneut beraten und „notwendige Anpassungen“ vornehmen. Von den Schließungen betroffene Firmen und Einrichtungen sollen eine „Nothilfe“ des Bundes erhalten. Bereits bestehende Unterstützungsmaßnahmen sollen zudem verlängert werden.
Zur Begründung der neuen Maßnahmen wird angeführt, dass die Zahl der Corona-Infektionen „inzwischen in nahezu allen Regionen Deutschlands mit exponentieller Dynamik“ ansteige. Deshalb sei es erforderlich, „durch eine erhebliche Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt das Infektionsgeschehen aufzuhalten“. Wie Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz in Berlin sagte, wurde die Beschlussvorlage in der Kabinettsitzung am Mittwochmorgen „ausdrücklich gebilligt“.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte die geplanten neuen Einschnitte. „Wenn wir warten, bis die Intensivstationen voll sind, ist es zu spät“, sagte er am Mittwoch im Südwestrundfunk. Es sei besser, jetzt „die Welle zu brechen“ und dann Richtung Weihnachten die Situation wieder eher unter Kontrolle zu haben.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sagte, er hoffe, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) mit der Beschlussvorlage „durchkommen wird“. „Ich hoffe auf die Vernunft, ich hoffe auf die Einsicht der Ministerpräsidenten“, sagte er in der RTL-Sendung „Guten Morgen Deutschland“. „Es geht jetzt darum, dass wir Weihnachten retten.“
SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider sagte in Berlin, die derzeitige zweite Corona-Welle sei „intensiver und schwerwiegender“ als die erste. Darauf müsse reagiert werden. Bei den Maßnahmen sei eine „einheitliche Linie“ nötig, mahnte er zugleich mit Blick auf das bisher unterschiedliche Vorgehen der Bundesländer.
FDP-Chef Christian Lindner zog die Verfassungsmäßigkeit der neuen Corona-Pläne in Zweifel. Merkel wolle „unter anderem die Gastronomie komplett still legen“, erklärte er. „Das hielte ich für unnötig und deshalb auch für verfassungswidrig.“
Als „vielfach unverhältnismäßig und ineffektiv“ bezeichnete Linksfraktionschef Dietmar Bartsch die Pläne. „Das kann niemals bundeseinheitlich über das ganze Land verhängt werden.“
AfD-Chef Jörg Meuthen erklärte, ein erneuter Lockdown werde „zum Knockdown für zahlreiche Unternehmen und Arbeitnehmer“ werden. „Wo sinnvolle Hygienekonzepte den Betrieb aufrechterhalten können, wie beispielsweise in Hotellerie und Gastronomie, darf es keinen Lockdown geben.“