Eigentlich passt es so gar nicht zum selbstbewussten Friedrich Merz, sich als Opfer zu präsentieren. Doch seit die CDU-Spitze eine Verschiebung des Parteitags zur Wahl des neuen Vorsitzenden beschlossen hat, verbreitet der 64-Jährige die Theorie, dass es sich dabei um eine Intrige gegen ihn handele. Die Parteispitze wolle seinen sicheren Sieg verhindern – da ist es doch wieder, das Merzsche Selbstbewusstsein.
Der Kandidat gibt Interview um Interview und lässt Kernäußerungen auch über seinen Twitter-Account verbreiten, um ein noch größeres Publikum zu erreichen. „Es läuft seit Sonntag der letzte Teil der Aktion ‚Merz verhindern‘ in der CDU. Und das mit der vollen Breitseite des Establishments hier in Berlin“, sagte Merz zuletzt der Zeitung „Welt“.
Nach seiner Darstellung weiß er nicht nur, dass er als Parteichef verhindert werden soll – er weiß auch, wen das „Establishment“ stattdessen unterstützt: „Ich habe klare Hinweise darauf, dass Armin Laschet die Devise ausgegeben hat: Er brauche mehr Zeit, um seine Performance zu verbessern.“ Und betont einmal mehr: „Ich führe ja auch deutlich in allen Umfragen. Wenn es anders wäre, hätte es in diesem Jahr sicher noch eine Wahl gegeben.“
Manche CDU-Mitglieder sehen die Sache sicher ähnlich, andere werden Merz‘ Theorie lächerlich finden – Unruhe stiftet das Ganze auf jeden Fall. Dabei will die CDU-Führung internen Zoff und Selbstbeschäftigung inmitten der Corona-Krise unbedingt vermeiden. „Es ist wichtig, dass wir geschlossen bleiben, dass wir zusammenstehen“, appellierte Generalsekretär Paul Ziemiak im Deutschlandfunk. Er werde mit Merz telefonieren, kündigte er an.
Dass Ziemiak den Vorsitzbewerber zum Zurückrudern bewegen kann, ist unwahrscheinlich. Merz‘ Position ist komfortabel: Ohne Amt in der aktiven Politik kann er viel Zeit und Energie darauf verwenden, seine Unterstützer anzustacheln und womöglich neue zu gewinnen. Und im Falle einer Niederlage bei der Vorsitzendenwahl kann er leicht sagen: Hab ich’s doch gewusst.
Merz kennt das Spiel mit provokanten Äußerungen gut. Erst vor rund einem Monat sorgte er mit der These für Aufsehen, viele Deutsche könnten sich in der Corona-Krise an ein „Leben ohne Arbeit“ gewöhnen. Ein Aufschrei folgte auch, als er am selben Tag Homosexualität in Zusammenhang mit Pädophilie stellte.
In einer langen politischen Karriere hat der Jurist Merz, der am 11. November 65 Jahre alt wird, den Umgang mit der Kontroverse umfassend gelernt. 1989 bis 1994 saß er im Europaparlament, danach im Bundestag. Ab 2000 war er Vorsitzender der Unionsfraktion, bis ihn die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel 2002 von dem Posten verdrängte. Fortan lagen beide im Clinch; 2009 zog sich der Sauerländer ernüchtert aus der aktiven Politik zurück.
Merz Abgang wurde damals als Schwächung des marktwirtschaftlichen Kurses in der Union gewertet. Offerten aus der FDP, die Partei zu wechseln, lehnte er ab.
Der Vater von drei Kindern konzentrierte sich auf seine einträgliche Arbeit als Anwalt einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Düsseldorf. Auch nahm er diverse Aufsichtsratsmandate wahr. Auf die Frage, ob er Millionär sei, antwortete Merz einmal: „Ich liege jedenfalls nicht darunter.“
Bei allem Eigensinn gilt Merz als einer der profiliertesten Unionspolitiker. Mit seiner ausgeprägt wirtschaftsliberalen und konservativen Haltung spricht er all jene an, denen die CDU unter Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer inhaltlich zu beliebig geworden ist.
2018 war Merz damit gescheitert, CDU-Chef zu werden – Kramp-Karrenbauer schlug ihn knapp. Nun soll es doch noch klappen mit dem großen Comeback. Mit wie vielen Parteikollegen er es sich auf dem Weg dahin verscherzt, scheint Merz herzlich egal zu sein.