In einem eindringlichen Appell hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Bundesbürger zur Einschränkung ihrer Kontakte und zum Verzicht auf Reisen aufgerufen. „Treffen Sie sich mit deutlich weniger Menschen, ob außerhalb oder zu Hause“, sagte Merkel am Wochenende angesichts der hohen Corona-Infektionszahlen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stellte sich hinter den Appell. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht derweil die Verantwortung bei der Bevölkerung, einen zweiten Lockdown noch abzuwenden.
Am Wochenende meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) insgesamt über 13.000 Neuinfektionen. Am Samstag hatte es mit 7830 Neuinfektionen einen neuen Rekordwert gegeben. Am Sonntag gab das RKI 5580 neue Corona-Infektionen bekannt. Da am Wochenende nicht alle Gesundheitsämter melden, liegen die Zahlen sonntags immer niedriger als unter der Woche – die 5580 Infektionen sind trotz des Rückgangs gegenüber Samstag aber rund 2100 mehr als am Sonntag vor einer Woche und rund 3200 mehr als Sonntag vor zwei Wochen.
Merkel sagte in ihrem wöchentlichen Videopodcast: „Verzichten Sie auf jede Reise, die nicht wirklich zwingend notwendig ist, auf jede Feier, die nicht wirklich zwingend notwendig ist.“ Wenn immer möglich sollten die Menschen zu Hause bleiben. „Ich weiß, das klingt nicht nur hart, das ist im Einzelfall auch ein schwerer Verzicht.“ Aber er müsse nur zeitweilig geleistet werden.
Die Pandemie breite sich schneller als zu Beginn aus. „Der vergleichsweise entspannte Sommer ist vorbei, jetzt stehen uns schwierige Monate bevor“, sagte Merkel. „Wir müssen jetzt alles tun, damit das Virus sich nicht unkontrolliert ausbreitet.“ Dabei zähle jeder Tag.
Söder sagte der „Bild am Sonntag“: „Die Lage ist ernst. Wenn wir nicht rasch gegensteuern, gerät Corona außer Kontrolle.“ Wer zögere, riskiere einen zweiten Lockdown. „Nie waren Umsicht, Vorsicht und Solidarität so wichtig wie jetzt“, sagte der CSU-Chef.
Nach Einschätzung Lauterbachs könne nur die Bevölkerung einen erneuten Lockdown noch abwenden. „Es wird darauf ankommen, wie sich die Bevölkerung verhält. Das ist wichtiger als einzelne Maßnahmen“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte den Funke-Zeitungen. Die Frage sei, ob es gelinge, einen ausreichend großen Teil der Bundesbürger davon zu überzeugen, ihre Kontakte einzuschränken. Ansonsten würden Kliniken und Gesundheitsämter überlaufen werden, sagte Lauterbach. Die Folge seien „lokale Shutdowns“.
Nachdem zuletzt immer wieder Gerichte politische Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie gekippt hatten, forderte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) mehr Augenmaß bei Verboten. „Bei allen Maßnahmen müssen wir stets darauf achten, dass sie gut begründet und für die Bürger nachvollziehbar sind“, sagte Lambrecht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Montagsausgabe). „Nur so können wir die hohe Zustimmung der Bevölkerung erhalten.“
Lambrecht sprach sich dafür aus, künftig wieder stärker das Parlament bei Entscheidungen miteinzubeziehen. „Zu Beginn der Pandemie war es erforderlich, sehr schnell und flexibel zu reagieren.“ Deshalb sei es in Ordnung gewesen, zu dieser Zeit befristete Maßnahmen auf Grundlage von Verordnungen zu erlassen. „Aber wir müssen jetzt sehr sorgfältig prüfen, für welche Maßnahmen auf längere Sicht das Parlament genauere gesetzliche Vorgaben machen muss.“