In seinem ersten großen Interview nach dem Giftanschlag auf ihn hat der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an seinem Krankenbett in der Berliner Charité geschildert. „Ich habe nur getan was meine Pflicht war“, habe die Kanzlerin beim Besuch in der vergangenen Woche auf seinen Dank hin entgegnet, sagte Nawalny im Interview mit dem „Spiegel“, das am Donnerstag veröffentlicht wurde.
Der Besuch sei völlig unerwartet gewesen, sagte Nawalny. „Die Tür ging auf, mein Arzt kam herein – und Merkel.“ Über Details könne er nichts erzählen, „aber wir haben nichts Geheimes oder Sensationelles besprochen“, sagte der 44-jährige Oppositionelle. Der Besuch sei eine Geste gewesen. Ihn habe beeindruckt, wie genau die Kanzlerin Russland und seinen Fall kenne. „Wenn man mit ihr redet, versteht man, warum sie schon so lange an der Spitze Deutschlands steht.“
Nawalny dankte zudem den Ärzten und Pflegern der Charité. Diese seien „die geduldigsten Menschen der Welt“. Er sei ein schwieriger Patient gewesen: „Ich bin nachts auf der Intensivstation aufgestanden, einmal habe ich mir alle Schläuche aus dem Körper gerissen, das Blut floss“, sagte Nawalny.
Später, als er schon bei Bewusstsein gewesen sei, habe er hysterische Anfälle bekommen. „Ich sagte, ich sei gesund und wolle in ein Hotel. Wochen später habe ich verstanden, dass dieses seltsame Verhalten eine Folge der Vergiftung war.“ Die Ärzte der Charité hätten sein Leben ein zweites Mal gerettet.
Nawalny war am 20. August auf einem Flug vom sibirischen Tomsk nach Moskau zusammengebrochen. Zwei Tage später wurde er auf Drängen seiner Familie und seiner Unterstützer zur Behandlung in die Berliner Universitätsklinik Charité gebracht; in Deutschland wurde eine Vergiftung mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe festgestellt. Labore in Frankreich und Schweden bestätigten diesen Befund eines Bundeswehrlabors.
Die russische Regierung weist den Verdacht zurück, staatliche russische Stellen könnten Nawalny gezielt vergiftet haben. Der Fall hat für erhebliche Spannungen zwischen Berlin und Moskau gesorgt. Die Bundesregierung erwartet, dass bei dem am Donnerstagnachmittag beginnenden EU-Gipfel die Mitgliedstaaten den Giftanschlag auf den bekannten russischen Oppositionellen gemeinsam verurteilen.