Steinmeier ruft zu kritischer Auseinandersetzung mit Vereinigungsprozess auf

30 Jahre Deutsche Einheit - Bild: Nürnberger Blatt
30 Jahre Deutsche Einheit - Bild: Nürnberger Blatt

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vereinigungsprozess aufgerufen. „Dazu gehört auch, dass wir offen über Fehler und Ungerechtigkeiten sprechen“, sagte Steinmeier am Samstag beim zentralen Festakt in Potsdam. „Keine Frage: Der Umbruch traf die Menschen im Osten unseres Landes ungleich härter als die im Westen“, sagte Steinmeier. „Und er hinterlässt bis heute Spuren, trotz aller großen Fortschritte.“

Insgesamt zog Steinmeier eine positive Bilanz der Deutschen Einheit. „Wir leben heute in dem besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“, sagte er. Die Deutschen seien „Glückskinder in der Mitte Europas“, die keinen Grund zur Mutlosigkeit hätten. Deutschland habe sich „zu einem wiedervereinten, freiheitlichen und demokratischen Land in der Mitte Europas“ entwickelt, sagte der Präsident. „Was für ein Glück! Was für eine Leistung! Darauf sind wir an diesem Tag zu Recht stolz.“

Allerdings fehle es auch 30 Jahre nach dem Ende der DDR an einer gemeinsamen Lesart der Vereinigungsgeschichte in Ost und West – gerade auch, was die Verwerfungen in Ostdeutschland betrifft. Steinmeier sprach in diesem Zusammenhang beispielhaft die Treuhandanstalt an, die mit der Privatisierung der DDR-Staatsbetriebe betraut war. 

„Nicht streiten müssen wir über die Frage, welche traumatischen Folgen die Abwicklung ganzer Betriebe hatte, was die Auflösung der an diesen Betrieben hängenden sozialen und kulturellen Strukturen für die Ostdeutschen bedeutete“, sagte Steinmeier.

„Das anzuerkennen und – auf der Basis der geöffneten Akten – zu einer gemeinsamen auch durchaus kritischen Lesart zu kommen, auch das gehört dazu, wenn wir gemeinsam unsere Geschichte schreiben und nicht Mythen und Verdächtigungen unsere gemeinsame Zukunft begleiten sollen“, fuhr er fort.

Bei der Aufarbeitung von Fehlentwicklungen gehe es „nicht um Höflichkeit und Abstand, es geht um unsere Demokratie“, sagte er. Denn wenn Menschen sich „dauerhaft zurückgesetzt“ fühlen, „dann bröckelt der Zusammenhalt, dann steigt das Misstrauen in die Politik, dann wächst der Nährboden für Populismus und extremistische Parteien“, warnte Steinmeier.

Steinmeier richtete einen Appell an Politik und Zivilgesellschaft: „Arbeiten wir weiter für Verbesserungen, beseitigen wir Missstände, hören wir uns gegenseitig zu, lernen wir voneinander – egal ob im Osten oder Westen, im Norden oder im Süden unseres Landes.“

Steinmeier rief zur Verteidigung der Demokratie gegenüber politischen Extremisten auf. Ausdrücklich kritisierte er Teilnehmer von Kundgebungen, „die heute vor dem demokratisch gewählten Bundestag die schwarz-weiß-rote Flagge des Deutschen Reiches von 1871, gar die Reichskriegsflagge schwenken“. Er warnte: „Sie wollen einen anderen Staat, einen autoritären und aggressiv-ausgrenzenden Staat.“

In seiner Rede vor den Gästen der zentralen Gedenkfeier schlug der Bundespräsident die Errichtung eines Gedenkorts vor, der an die „friedlichen Revolutionäre“ in der DDR erinnert. Ihm schwebe dabei ein Ort vor, „der daran erinnert, dass die Ostdeutschen ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen und sich selbst befreit haben“.

Steinmeier rief zur öffentlichen Debatte über den Vorschlag auf – zu Form und möglichem Standort des Gedenkorts wollte er sich selbst nicht äußern. Aufgabe des Gedenkorts wäre es, eine „Sternstunde“ zu würdigen, „die auf ewig Platz in unserer deutschen Demokratiegeschichte hat“, sagte er.

Bei dem Festakt in Potsdam waren wegen der Corona-Pandemie waren nur 230 Gäste vor Ort zugelassen. Knapp die Hälfte der Gäste waren engagierte Bürgerinnen und Bürger aus allen Bundesländern. Der Charakter der Einheitsfeiern musste wegen der Corona-Pandemie stark verändert worden, viele geplante Veranstaltungen wurden abgesagt oder umgeplant.

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