Spanien mit mehr als einer Million Corona-Infektionen, Frankreich kurz vor dieser Schwelle, Deutschland und Italien mit neuen Höchstständen bei den Neuinfektionen: Die zweite Corona-Welle in Europa nimmt immer besorgniserregendere Ausmaße an, und viele Länder schotten sich wieder zunehmend gegen das Virus ab. Irland und Tschechien kehrten bereits weitgehend zum landesweiten Lockdown der ersten Welle zurück.
Nach den wirtschaftlich und teilweise auch menschlich schwierigen Folgen der ersten landesweiten Ausgangssperren zögern die europäischen Regierungen trotz der explodierenden Infektionszahlen, zu den massiven Einschränkungen der Anfangszeit zurückzukehren.
Als erstes Land der Europäischen Union verfügte Irland nun aber doch einen sechswöchigen landesweiten Lockdown; seit Donnerstag sind alle nicht notwendigen Geschäfte geschlossen, Restaurants und Bars dürfen nur noch Außer-Haus-Service anbieten. Die Bürger dürfen sich nur noch im Umkreis von fünf Kilometern von ihrem Wohnort entfernen. Allein Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen bleiben offen.
Sie spüre, wie sich eine „Wolke der Traurigkeit“ über Dublin herabsenke, sagte die 57-jährige Einwohnerin Sunniva O’Flynn der Nachrichtenagentur AFP. Die Stadt fühle sich völlig verlassen an.
Auch in Tschechien gilt seit Donnerstag ein weitgehender Lockdown. Die Bewegungen und Kontakte der Bürger mit Ausnahme vom Gang zur Arbeit, Einkäufen und Arztbesuchen sind stark eingeschränkt. Alle Geschäfte außer Lebensmittelläden, Drogerien und Apotheken mussten schließen, Bars und Restaurants sind bereits geschlossen.
Das Land verzeichnete in den vergangenen beiden Wochen EU-weit die höchsten Zahlen an Neuinfektionen und Todesfällen pro 100.000 Einwohnern, die Krankenhäuser stehen kurz vor ihrer Überlastung. Zur raschen Abhilfe schickt die EU 30 Beatmungsgeräte, wie sie am Donnerstag mitteilte.
In Italien gilt ab Freitagabend 23.00 Uhr, eine nächtliche Ausgangssperre für die Region Lazio, zu der auch die Hauptstadt Rom gehört, sowie für Kampanien mit Neapel. In der norditalienischen Region Lombardei sollte die Ausgangssperre bereits am Donnerstagabend in Kraft treten. Am Mittwoch verzeichnete das Land mit knapp 15.200 Neuinfektionen die bislang höchste Zahl seit Beginn der Epidemie.
Angesichts von über 11.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden bezeichnete der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, die Corona-Situation in Deutschland inzwischen ebenfalls als „sehr ernst“. Es müsse damit gerechnet werden, dass sich das Virus in einigen Regionen stark und auch „unkontrolliert“ ausbreiten könne, sagte er. Doch noch bestehe die Chance, die weitere Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, wenn sich mehr Menschen an die Schutzregeln hielten.
Gleichzeitig weitete das RKI die Liste der Corona-Risikogebiete in Europa erneut deutlich aus. Unter anderem werden seit dem Morgen ganz Polen, die ganze Schweiz, ganz Irland und ganz Liechtenstein in dieser Kategorie geführt. In Österreich sind nun acht von neun Bundesländern betroffen – nur Kärnten gilt nicht als Risikogebiet. Auch zahlreiche italienische Regionen wurden neu als Risikogebiete eingestuft, darunter die Toskana und die Lombardei, Sardinien und die autonome Provinz Bozen, also Südtirol. Ebenfalls als Risikogebiet wird das gesamte Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland geführt, ebenso Gibraltar.
Das RKI nahm noch zahlreiche weitere europäische Regionen in die Liste auf, etwa in Schweden, Bulgarien, Ungarn und Kroatien. Dagegen wurden die Kanarischen Inseln, die zu Spanien gehören, von der Liste gestrichen. Für Länder oder Regionen, die als Risikogebiet eingestuft wurden, gibt das Auswärtige Amt eine Reisewarnung heraus.
In Spanien, wo ab Freitag scharfe Corona-Beschränkungen auch in der Region Aragon und der Provinz La Rioja gelten, überstieg die Zahl der seit Beginn der Pandemie Infizierten die Marke von einer Million.
In Frankreich wurden bislang laut einer AFP-Zählung knapp 960.000 Menschen mit dem Virus infiziert. Dort könnten die Behörden noch am Donnerstag über weitere Gebiete die höchste Corona-Warnstufe und weitere abendliche Ausgangssperren verhängen. Derzeit gelten sie in Paris und acht weiteren Städten. Bereits abgesagt wurde der diesjährige Straßburger Weihnachtsmarkt.