Im Konflikt um die Kaukasus-Region Berg-Karabach hat sich die am Samstag vereinbarte Waffenruhe erneut als brüchig erwiesen. Armenien und Aserbaidschan warfen sich in der Nacht zu Sonntag gegenseitig Verstöße gegen die nur wenige Stunden alte Feuerpause vor. Obwohl es am Sonntag deutlich ruhiger zuging, trauten Einwohner auf beiden Seiten der Waffenruhe nicht.
„Der Feind“ habe Artilleriegeschosse und Raketen abgefeuert, teilte eine Sprecherin des armenischen Verteidigungsministeriums im Online-Dienst Twitter mit. Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium in Baku warf wiederum den armenischen Streitkräften einen „groben Verstoß“ gegen die vereinbarte Waffenruhe vor. Das Ministerium berichtete von Artilleriebeschuss und Angriffen entlang der Grenze.
Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete, dass es in der Hauptstadt der selbsternannten Republik Berg-Karabach, in Stepanakert, in der Nacht zum Sonntag verhältnismäßig ruhig gewesen sei. Viele Einwohner trauten der Ruhe jedoch nicht. „Unser Land ist bereit, die Waffenruhe einzuhalten, aber die anderen werden das nicht tun“, sagte die 65-jährige Sweta Petrosjan.
Einwohner der aserbaidschanischen Stadt Terter in der Nähe der Front sagten gegenüber AFP, dass es am Sonntagmittag zu einem zweistündigen Beschuss mit Raketen gekommen sei. „Ich weiß nicht, ob die Waffenruhe von Dauer sein wird, und es ist mir egal“, sagte der 35-jährige Elshad Resajew. „Sie haben unsere Frauen und Kinder getötet. Alles, was ich tun will, ist, eine Waffe zu nehmen und gegen sie zu kämpfen, damit dies für immer vorbei ist“, fügte er hinzu.
Die beiden Konfliktparteien hatten sich erst am Samstagabend auf eine „humanitäre Waffenruhe“ geeinigt. Diese sollte ab Mitternacht gelten. Bereits seit der vergangenen Woche ist eine Waffenruhe in Kraft, die Gefechte dauerten aber dennoch an.
Aserbaidschan teilte mit, mehrere Gebieten entlang der Front sowie in höher gelegenen Gegenden „zurückerobert“ zu haben. Experten nehmen an, dass diese Gewinne bereits ausreichend sein könnten, damit Baku die Kämpfe vor dem Winter für beendet erklärt und sich bereit erklärt, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Der seit Jahrzehnten andauernde Konflikt war Ende September nach einer Phase relativer Ruhe wieder voll entbrannt. Seit Beginn der Gefechte wurden bereits hunderte Menschen getötet, darunter auch viele Zivilisten.
Berg-Karabach hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion einseitig seine Unabhängigkeit erklärt. Darauf folgte in den 90er Jahren ein Krieg mit 30.000 Toten. Die selbsternannte Republik Berg-Karabach wird bis heute international nicht anerkannt und gilt völkerrechtlich als Teil Aserbaidschans. Sie wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt.
Beobachter fürchten, dass sich der Konflikt zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Türkei im Kaukasus ausweiten könnte. Die Türkei unterstützt Aserbaidschan in dem Konflikt. Russland unterhält gute Beziehungen zu beiden Seiten, gilt aber als die militärische Schutzmacht Armeniens.